Anti-EU-Sprüche von Merkel und Schulz rächen sich

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Von Merkel über Schulz bis Seehofer wurde über die EU- Ölkännenchverordnung gemotzt. Aber einige Südländer wollten offene Kännchen wegen der Hygiene in Restaurants verbieten lassen (Screenshot: Frontal 21/ZDF)
Anti-EU-Sprüche: Von Merkel über Schulz bis Seehofer wurde über die EU- Ölkännenchverordnung gemotzt. Aber einige Südländer wollten offene Kännchen wegen der Hygiene in Restaurants verbieten lassen (Screenshot: Frontal 21/ZDF)

Europa wurde zu lange schlecht geredet. Das fiel Bundeskanzlerin Angela Merkel (61, CDU) in Berlin nach dem Brexit-Votum auf. Am 24. Juni 2016 sagte sie: „Wir müssen deshalb sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger konkret spüren können, wie sehr die Europäische Union dazu beiträgt, ihr persönliches Leben zu verbessern.“

Dabei tat die Kanzlerin vor zwei Jahren noch das Gegenteil und ging bei Anti-EU-Sprüchen voran. Auf dem CDU-Bundesparteitag zur Europawahl sagte sie am 5. April 2014: „Ölkännchen auf den Tischen von Restaurants und Duschköpfe mit ihrem Wasserdurchlass, die gehören nicht in die europäische Entscheidungskompetenz.“

Der SPD-Politiker und Europaparlamentsabgeordnete Martin Schulz (60) aus Würselen in NRW machte munter mit. Beim SPD-Sonderparteitag zur Europawahl am 26. Januar 2014 sagte er: „Warum, frage ich, muss die Kommission den Wasserverbrauch von Toilettenspülungen regeln oder den Energieverbrauch von Duschköpfen oder Wasserhähnen?“

Oder auch David McAllister (45), der CDU-Spitzenkandidat zur Europawahl aus Bad Bederkesa in Niedersachsen, motzte am 05. März 2014 ebenfalls gegen Brüssel: „Toilettenspülungen!“

Horst Seehofer (66), CSU-Parteivorsitzender und Bayerischer Ministerpräsident aus Gerolfing stimmte am 10. Mai 2014 in den Anti-EU-Chor ein: „Oliven – äh, äh – Ölkännchen!“

Olivenölkännchen. Toilettenspülungen. Duschköpfe. Was beim Wähler hängenbleibt: In Brüssel sitzen durchgedrehte EU- Bürokraten, berichtete Frontal 21.

Dabei hatten einzelne Mitgliedsstaaten selbst um diese Regeln gebeten. Der Verbraucher sollte Wasser sparen. Und einige Südländer wollten offene Ölkännchen wegen der Hygiene verbieten lassen. Im Wahlkampf aber sind solche Fakten egal.

Es ging bei den Anti-EU-Sprüchen um Stimmenfang

Dabei lieferten die Sprücheklopfer manchmal die Steilvorlage für Anti-EU-Sprüche gleich selbst: Angela Merkel entschied sich für Günther Oettinger (62) als Deutschlands EU- Kommissar – der war zuvor zurücktreten als Ministerpräsident. Als Energie-Kommissar ging‘s nach Brüssel mit mangelnden Fachkenntnissen und mit schlechtem Englisch.

Andere Länder schicken auch nicht gerade die erste Garde nach Brüssel. Das fällt auch den Wählern auf. Viele nehmen die EU nicht mehr ernst, was die Wahl von Satiriker Martin Sonneborn (61) ins EU-Parlament belegt. Der legt sein eigenes EU-Mandat als Spaßveranstaltung aus.

Martin Sonneborn (DIE PARTEI, Mitglied des Europaparlaments) im Jahr 2014: „Wir möchten diese Gurken-Verordnung wieder einführen – und zwar nicht für Gurken sondern für Exportwaffen. Das heißt, dass deutsche Exportwaffen – und andere natürlich auch – demnächst auf zehn Zentimeter Lauf eine zwei Zentimeter Krümmung haben müssen.“

Die Rechnung: riesiger Vertrauensverlust

Die Politikwissenschaftlerin Professorin Ulrike Guérot von der Universität Krems in Österreich stellte dazu fest: „Also, wir haben hier mit einem riesigen Vertrauensverlust bezahlt in den letzten Jahren – die Europäische Union, das ist empirisch nachweisbar, jede Statistik gibt das her. Und es gibt ja diesen Spruch: ‚Geld kann man verlieren, Vertrauen nicht‘ – ja, weil man es eben auch nicht mehr aufbauen kann.“

Dabei sind die Erfolge für jeden EU-Bürger alles andere als klein, doch sie wurden von Politikern viel zu wenig beworben.

„Nehmen Sie zum Beispiel das Reiserecht“, sagte Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, „die Möglichkeiten, dass Fluggastrechte europaweit einheitlich sind.“  Egal, ob man nach Estland oder Mallorca fliege, niemand müsse sich mehr über unterschiedliche Reklamationsrechte Gedanken machen. Das sei ein Mehrwert, den die EU geschaffen habe. Die EU hat habe auch die Frage der Krankenversicherung vereinheitlicht, so Müller. „Das heißt, meine Krankenkasse in Deutschland zahlt eben auch, wenn ich in Frankreich, in Portugal, in Malta in ein Krankenhaus muss.“

Zehn Jahre lang kämpfte die EU zum Beispielgegen Roaming-Gebühren. Kaum war man über die Grenze, schon piepte das Handy – der Hinweis: Jetzt wird’s teuer.

Ein Betroffener sagte gegenüber Frontal 21: „Meine Schwester ist schon mal mit 600 Euro Roaming- Gebühren beglückt worden, weil sie ahnungslos ihr Handy an zwei Wochenenden hintereinander in Amsterdam eingeschaltet ließ.“

Nach einer EU-Vorschrift dürfen Mobilfunkanbieter jetzt nur noch wenige Cent Aufschläge pro Anruf, SMS oder Download berechnen. 2017 ist auch damit Schluss.

Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin sagte: „Vergleichen Sie das mit den USA, mit Asien, mit Afrika, dann sehen Sie auf Ihrer Telefonrechnung, warum wir Danke gegenüber Brüssel sagen können.“

Die EU hat auch das durchgesetzt. Wer Verspätungen mit Flugzeug, Schiff oder Bahn erlebt, wird entschädigt. Fluggast- rechte sind europaweit einheitlich.

Und auch das machte die EU möglich: Pflegepersonal aus Polen oder Rumänien – inzwischen unverzichtbar für viele deutsche Rentner und Pflegeheime.

Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband in  Berlin sagte: „Das eine ist tatsächlich, das: ‚Tue Gutes und rede darüber‘. So wie jeder nationale Politiker immer sofort an seine Wiederwahl denkt, was ja auch legitim ist, und auch über die guten Dinge spricht, die man erreicht hat. Ich glaube, das passiert in Brüssel mindestens bei der Kommission, auch beim Rat und vielleicht sogar beim Europäischen Parlament zu wenig.“

Manches, was beim Verbraucher längst ankommt, verbucht er nicht unter EU. Dabei hat die Bevölkerung profitiert von 20 Jahren EU-Markt, so das Ergebnis einer Studie der Prognos AG aus Berlin Charlottenburg aus dem Jahr 2014. Danach verzeichnet jeder Einwohner Deutschlands einen durchschnittlichen Einkommensgewinn von 450 Euro pro Jahr. Damit führt Deutschland die Liste in Europa an. Kein EU-Land verzeichnet jährlich mehr Einkommensgewinne.

Professor Marcel Fratzscher (44), Direktor Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung aus Berlin Mitte, sagte dazu: „Viele unserer Stärken, der wirtschaftlichen Stärke, weshalb Deutschland so gut dasteht heute, hat viel mit Europa zu tun, mit einer starken Währung, mit einer starken globalen Position, dadurch, dass wir Teil einer Europäischen Union sind. Und wir brauchen unbedingt wieder einen ehrlicheren Dialog darüber, was Europa uns bringt und wie wir Europa reformieren können, dass diese Vorteile, die in den letzten 70 Jahren ohne Zweifel entstanden sind, gesichert werden und ausgebaut werden können.“

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4 KOMMENTARE

  1. Das kommt wenn man im Bad auf der Schüssel sitzt und nicht mehr weiß, wie man seine Anwesenheitsprämie rechtfertigen soll.Das ist die Arbeit von 55 000 Personen in Brüssel.

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