Christenverfolgung in der Türkei: Osmanen-Stadt Bursa macht einzige Kirche dicht

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Die einzige Kirche in der westtürkischen Stadt Bursa bekam am Sonntag eine sofortige Räumungsaufforderung. 100 Christen (darunter deutsche Kathliken) sind dann heimatlos. Dagegen wehrt sich der protestantische PfarrerIsmail Kulacoglu mit einer Internet-Petiton auch an den türkischen Botschafter in Berlin. (Foto: Bursa Protestan Kilisezi)
Die einzige Kirche in der westtürkischen Stadt Bursa bekam eine sofortige Räumungsaufforderung bis 26. Februar 2016. 100 Christen (darunter deutsche Katholiken) sind dann heimatlos. Dagegen wehrt sich der protestantische Pfarrer Ismail Kulacoglu mit einer Internet-Petition auch an den türkischen Botschafter in Berlin. (Foto: Bursa Protestan Kilisezi)

Mit einer Online-Petition versucht der evangelische Pfarrer Ismail Kulacoglu die Räumung seiner Kirche, der letzten verbliebenen Kirche, in der westtürkischen Stadt Bursa 90 Kilometer von Istanbul zu verhindern. Die Französische Kirche (Fransız Kilisesi) wird von vier christlichen Gemeinden für Gottesdienste genutzt: der deutschen katholischen Gemeinde, der lateinischen katholischen Gemeinde, der orthodoxen und der evangelischen Gemeinde.

Am Freitag war Pfarrer Kulacoglu vom Amt für Stiftungswesen, der staatlichen Verwaltung des historischen Gebäudes, ohne Vorwarnung aufgefordert worden, das Haus sofort zu räumen und bis Freitag dieser Woche die Schlüssel abzugeben. Die gläubige Minderheit aus 100 Christen hätten dann in der 2,8-Millionen-Einwohnerstadt  Bursa in Kleinasien kein Gotteshaus mehr.

Die französische Kirche von Bursa wurde 1881 von levantinischen, französischsprachigen Christen errichtet. Die vier christlichen Gemeinden in Bursa haben das Haus von 2002 bis 2004 selbst restauriert. Die Stadtverwaltung stellte den christlichen Gemeinden das Haus per Vertrag zur Verfügung. Als die Vereinbarung 2015 erneuert werden sollte, seien die Christen aufgefordert worden, eine Firma zu gründen, so Pfarrer Kulacoglu. Dieser Firma sollte dann endgültig das Haus übertragen werden. Diese Auflage wurde von den vier christlichen Gemeinden erfüllt.

Aber anstatt eine neue Vereinbarung abzuschließen, wurde dem evangelischen Pfarrer per Telefon mitgeteilt, dass die Christen das Gebäude räumen müssten. Der Pfarrer kämpft dafür, dass die Entscheidung noch einmal überdacht wird.

Das Gebiet der Türkei beherbergt bedeutende christliche Stätten. Das Christentum ist zum Teil auf dem Gebiet der Türkei entstanden. Paulus hat in der Türkei gewirkt, das Grabmal der Maria, der Mutter Jesu, befindet sich ebenfalls in der Türkei. Auch das christliche Bekenntnis wurde auf dem Gebiet der Türkei (Konzil von Nicäa) formuliert. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Türkei eine bedeutende christliche Minderheit.

Die Petition von Pfarrer Kulacoglu „Keine Schließung der Kirche ‚Fransız Kilisesi‘ (Französische Kirche) in Bursa!“ haben bereits 15.227 Menschen unterschrieben. Das Ziel sind 20.000 Unterschriften.

Pfarrer Kulacoglu will sich mit der Petition an den türkischen Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslıoğlu, wenden. Der ist parteilos, dient einzig dem türkischen Land und setzt sich für die Mitgliedschaft der Türkei in der EU und für eine deutsch-türkische Universität ein.

Bei Bursas Bürgermeister  könnte Pfarrer Kulacoglu aber möglicherweise auf taube Ohren stoßen. Altepe ist wie Türkei-Präsident Recep Tyyip Erdogan und wie Ministerpräsident Ahmet Davutoglu Mitlied der AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung. Die 2001 gegründete AKP ist seit dem 1. November 2015 stärkste Fraktion im Parlament. Sie setzt sich für eine stärkere Islamisierung der Gesellschaft ein. Ihr Wahlspruch lautet: „Alles für die Türkei“.

Bursa verfügt über drei riesige islamische Gotteshäuser, darunter die Große Moschee – Ulu Camii in der Atatürk-Straße. Sie wurde von 1396 bis 1420 nach Christi von Mehmed I. in Auftrag gegeben. Er war der 5. Sultan der Osmanen.

Bursa war zuvor seit 1326 Hauptstadt des Osmanischen Reiches, das von 1299 bis 1922 existierte. Die Ehre wurde der Stadt zuteil, weil sie in jenem Jahr 1326 von Orhan Gazi dem Sohn von Sultan Osman erobert worden war. Aus Eroberer Orhan Gazi wurde Sultan Orhan I. 1368 verlegte Sultan Orhan I. seine Hauptstadtresidenz nach Edirne im äußersten Westen der Türkei.  Ab 1453 war die Hauptstadt der Osmanen dann Konstantinopel, das heutige Istanbul.

Die Zentralmoschee in Bursa besitzt bis heute die größte überdachte Gebetsfläche (5.000 Quadratmeter unter 20 Kuppeln) der Türkei. Alle drei Groß-Moscheen von Bursa (Große Moschee, Grüne Moschee und Orhan-Gazi-Moschee) werden sogar in jedem Marcopolo-Reiseführer zum Besuch angepriesen. Nur für christliche Gläubige soll es nun keinen Gebetsplatz mehr geben.

Haben die heutigen islamischen Osmanen in Bursa vergessen, dass die christlichen Levantiner (nichtmuslimische Osmanen), die wesentlichen Träger der kulturellen Moderne im Nahen Osten sind?

Die Sängerin Shakira ist Levantinerin. Der britische Sänger George Michael hat levantinische Wurzeln. Der französische Sänger Charles Aznavour ist Levantiner. In der  Wirtschaft sind es Renault-Nissan-CEO Carlos Ghosn sowie der derzeit reichste Mann der Welt, der mexikanischen Telekom-Unternehmer Carlos Slim Helú. Die Mutter des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy kommt aus einer Levantiner-Familie. Der mehrfach in Cannes ausgezeichneten ägyptische Filmregisseur Youssef Chahine war ein Christ, der der sich weder von der staatlichen Zensur noch von den Islamisten einschüchtern ließ. Mit seinem Film „Der Auswanderer“ interpretierte er die biblische Geschichte des Joseph mutig und eigenwillig.

Zu den Levantinern zählt auch die US-Sängerin Cher oder der ehemalige Oberbefehlshaber der Nato George Joulwan. Auch der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali aus Ägypten ist ein Christ.

Die moderne türkische Sprache wurde von Nichtmuslimen wie Munis Tekinalp propagiert. Die moderne arabische Sprache wurde analog zu Luther durch die Bibelübersetzung eines arabischen Protestanten, Butrus al-Bustani, definiert.

Paradoxerweise legten die Levantiner damit die Grundlagen für die modernen säkularen Nationalismen, wie jetzt die aktuelle Christenverfolgung in der Türkei.

Pfarrer Kulacoglu wendet sich an die Öffentlichkeit: „Helfen Sie bitte, 20.000 Unterschriften zu erreichen“. Dann kann er die  Petition bei der Stadt Bursa einreichen.

Bursa ist übrigens auch die Partnerstadt von Darmstadt in Hessen und Kulmbach in Bayern.

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44 KOMMENTARE

  1. Was hat Erdogan mit den Osmanen zu tun ?

    Paradoxerweise legten die Levantiner damit die Grundlagen für die modernen säkularen Nationalismen, wie jetzt die aktuelle Christenverfolgung in der Türkei.““

    Sehr interessant

  2. Dreckspack, hier ein Raketenturm nach dem anderen hochziehen für Vögel die sich bis heute nicht angepasst haben. Und da eine Kirche schließen, die Türkei voll boykotieren, kein Urlaub-keine Devisen.

    • ich bin ausgetreten. ich möchte an die Kreuzzüge erinnern, die im Namen Gottes geführt wurden, an Hexenverbrennungen, an Grausamkeiten die im Namen Allahs geschehen. Auch daran, dass im Zeitalter von Aids noch immer die katholische Kirche gegen Kondome propagiert. Dasselbe gilt für Geburtenkontrolle…

  3. Na wartet da gibt es bestimmt eine Sonderbericht im TV…Aufschrei bei unseren Politikern Empörung überall in den Medien.Oh Nein das gibt es nur wenn man was gegen die AFD zu berichten hat.

  4. Hat nichts mit Muslimen zu tun. In Syrien stehen standen mehr Kirchen als sich das einer denken kann, in lebanon stehen auch welche. Die Türkei ist unter Erdogan ein muslimbruderdchaft Staat, nichts anderes als die al nusrah oder isis. Das macht den Unterschied.

  5. Das ist nur ein weiterer Schritt in jahrelanger Diskriminierung der Christen in der Türkei. Kirchen haben dort keine eigene Rechtspersönlichkeit, Kirchen dürfen praktisch nicht gebaut werden und Renovierungsarbeiten an kirchlichen Gebäuden müssen in einem komplizierten und langwierigen Verfahren genehmigt werden, oft kommt es nicht dazu. Die Ausbildung von Geistlichen ist verboten und so wird dafür gesorgt, dass es nur noch kleine Reste von Christentum gibt. Außerdem gibt es Anschläge auf katholische Priester. – Alles nicht neu, aber wen hat das hier gekümmert?

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