Der Sohn eines Priesters und einer Deutschlehrerin Wladimir Michailowitsch Gundjaew (69) aus Sankt Petersburg legte mit 23 Jahren das Mönchsgelübde ab. Am 1. Februar 2009 bestieg er den Thron der russisch-orthodoxen Kirche und heißt seitdem Kyrill I. Der heilige Synod wählte ihn zum 16. Patriarchen von Moskau und der gesamten Rus. 150 Millionen Gläubige hören auf sein Wort.
Am 12. Februar 2016 traf der russisch-orthodoxe Oberhirte in der Lounge des Flughafens Jose Marti in Havanna auf Kuba den höchsten Priester der Katholiken, den römischen Papst Franziskus (79), auf dessen Wort rund 1,2 Milliarden Katholiken hören. Das Treffen beendete eine 1.000 Jahre alte Schisma zwischen den Kirchen.
Patriarch Kyrill schenkte Franziskus die Kasaner Ikone der Mutter Gottes und sein Buch „Freiheit und Verantwortung“ auf Spanisch. Franziskus gab an Kyrill ein Reliquiar mit einem Teilchen der Reliquien des slawischen Schutzpatrons Kyrill von Saloniki und die russische Übersetzung der Enzyklika Laudato Si.
Doch die Gegensätze der beiden Kirchenrepräsentanten könnten kaum größer sein, befand die New York Times.
Als Priester und Bischof in Argentinien wurde Franziskus für sein einfaches Leben bekannt: Er benutzte seine eigene Küche, fuhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln rund um Buenos Aires und lehnte das Angebot ab, in die große Erzbischofsresidenz umzuziehen, als er befördert wurde. Als Papst seit dem 13. März 2013 hat er sich kein bisschen verändert. Er ist dafür berühmt, dass er seine Hotelrechnungen selbst bezahlt. Er fährt um den Vatikan in einem Ford Focus und kocht im Cafeteria-Speisesaal des Vatikans sein eigenes Essen in der Mikrowelle.
Ganz anders Wladimir Michailowitsch Gundjaew, Patriarch Kyrill I.
Er bekam schon bei seiner Inthronisierung den Beinamen Tabak-Patriarch. Denn Gundjaew war nie einer jener Einsiedler in brauner Kutte, deren einziges Ziel darin besteht, Gott so nah wie möglich zu kommen.
Der Patriarch besitzt nicht nur einen Maybach, sondern für einen Mönch recht viele Residenzen. Vor allem nennt er eine luxuriöse Penthousewohnung gegenüber dem Kreml sein Eigen. Sein Vermögen soll sich heute auf 6,4 Milliarden Euro belaufen. Das meiste Geld verdiente er ab 1993 als Monolit von Smolensk, wo er im Namen der orthodoxen Kirche mit Zigaretten gehandelt haben soll. Die Zigaretten wurden als „humanitäre Hilfe“ deklariert und waren deshalb vom Zoll befreit.
Bevor er Patriarch wurde, leitete er das Außenamt des Patriarchats, war also gewissermaßen dessen Außenminister. Die Orthodoxe Kirche erhielt finanzielle Privilegien, zum Beispiel Zollfreiheit.
Der Journalist Alexander Soldatov hatte die Geschäfte Mitte Februar 2012 in der russischen oppositionellen Tageszeitung Nowaja Gazeta kritisiert. Am lukrativsten seien die Geschäfte der vom Kirchlichen Außenamt gegründeten Aktiengesellschaft MES (Meždunarodnoe Ėkonomičeskoe Sotrudničestvo / Internationale Wirtschaftliche Zusammenarbeit) gewesen, die dank der Fürsprache von Patriarch Alexij II., dem Vorgänger von Kyrill I., steuerfrei Erdöl exportiert haben soll.
Die Informationsabteilung des Heiligen Synods der Russischen Orthodoxen Kirche hat den Bericht der Nowaja Gazeta dementiert, der Artikel aus der Feder von Alexander Soldatov entbehre jeglicher Grundlage und stelle „eine bewusste Verleumdung des Heiligsten Patriarchen und der gesamten Russischen Orthodoxen Kirche“ dar. Sein Artikel basiere „ausschließlich auf Gerüchten und Klatsch sowie unbewiesenen und nicht nachprüfbaren Behauptungen und Vorurteilen“.
Soldatov wiederhole „bloß eine Reihe negativer Gerüchte und Mythen, die einige Journalisten bereits in den 1990er Jahren in die Welt gesetzt“ hätten, obwohl deren „Haltlosigkeit und Verlogenheit“ als wiederholt gerichtlich erwiesen gelte.
Doch die Moskauer Zeitung beruft sich auf Untersuchungen eines Historikers, der sich seit Jahren mit den „Tabakgeschäften“ von Wladimir Gundjaew, dem heutigen Kyrill I., befasst. Der Patriarch selbst hat diese Informationen übrigens niemals offiziell dementiert.
Laut „Nowaja Gazeta“ war das aber nicht das einzige „Business“ des hohen Kirchenmannes. Er sei in Bankgeschäfte involviert gewesen und habe mit Meeresfrüchten gehandelt. Und all dies unter dem schützenden Mantel der Kirche und dadurch von der Steuer befreit.
Heute besitzt er nach Angaben der „The New Times“ ein eigenes Flugzeug, eine Villa in der Schweiz, eine Luxusdatscha in Peredelkino bei Moskau und die Penthousewohnung im Elite-„Haus an der Uferstraße“ der Moskwa in Blickweite des Kremls.
Wie luxuriös die Moskauer Stadtwohnung von Kyrill I. ist, kam durch seinen Cousin heraus.
Der Cousin durfte darin wohnen. Im März 2012 verklagte er einen Nachbarn, der über ihm wohnte, auf knapp eine halbe Million Euro Schadensersatz. Der Cousin behauptete, dass eine Renovierung der Wohnung dieses Geschäftsmannes über ihm einen solchen „Nano-Staub“ verursacht habe, dass an Kyrills Möbel und Bücher irreparable Schäden entstanden seien.
Der Patriarch beklagte die Medienrummel um den Fall, nahm aber zu seiner offensichtlich nicht klösterlichen Lebensweise in seiner Wohnung keine Stellung.
Für Spott über seine Vorliebe für Reichtum sorgte schließlich seine Pressestelle.
Es ging um eine teure Armbanduhr des Kirchenoberhauptes. Blogger hatten vor vier Jahren ein Foto Kyrills auf der Website des Patriarchen ausfindig gemacht, das ihn am Schreibtisch mit auffällig langen schwarzen Ärmeln zeigt. Sie waren offensichtlich hineinretuschiert worden. Der Verantwortliche hatte aber ein Detail vergessen: Die Uhr des Patriarchen spiegelte sich in der blank polierten Tischplatte. Das Patriarchat entschuldigte sich und stellte das Originalfoto ein.
Wie reich die von Kyrill geführte russisch-orthodoxe Kirche ist, wird weitgehend verschleiert.
Der letzte veröffentlichte Finanzbericht stammt aus dem Jahr 1997.
Erlöse in Millionenhöhe generieren das Moskauer Patriarchat und die rund 150 über Russland verteilten Eparchien (so etwas wie Bistümer) mit Heiraten, Begräbnissen und anderen Dienstleistungen rund um ihre Gotteshäuser.
Jedes dieser orthodoxen Gotteshäuser erwirtschafte über die Hälfte seiner Einnahmen mit Verkäufen von Kerzen, heisst es.
Doch das ist eben nur die halbe Wahrheit. Nach wie vor setze die Kirche auf originelle Nebengeschäfte, schreibt die Neue Zürcher Zeitung: „So gehören ihr nicht nur Hersteller von religiösen Produkten und von heiligem Wasser, sondern auch eine Agrar-Holding, ein Telekommunikationsanbieter und ein Hotel in Moskau sowie eine Baufirma in Jekaterinburg. Hinzu kommen Bankbeteiligungen.
Ein anderes Beispiel für den geistlichen Gemischtwarenladen ist die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Stalin liess Russlands grösstes Gotteshaus 1931 sprengen; 1997 wurde sie neu errichtet – mit ein paar Modifikationen: Auf dem Areal sind heute auch eine Reinigung und eine Reifen-Werkstatt untergebracht. Die Kathedrale selbst lässt sich mieten; die Deutsche Bank zelebrierte dort 2006 ihre 125-jährige Präsenz in Russland.“ Das Kellergeschoss des im Jahr 2000 eingeweihten Neubaus der Christ-Erlöser-Kathedrale (Baukosten 154 Millionen Euro, allesamt aus Spenden von Organistionen und Privatpersonen an die Wiederrichtungsstiftung) beherbergt eine Tagungshalle der Russisch-Orthodoxen Synode, eine Veranstaltungshalle, mehrere Festtagsspeisesäle sowie Versorgungs- und Diensträume.
Die Freundschaft zu Putin bringt Geldsegen
Eigentlich besagt ja Artikel 14 der russischen Verfassung, dass die Russische Förderation ein weltlicher Staat ist und dass Kirche und Staat getrennt sind.
Auch ist der russische Präsident, der Ex-KGB-Offizier Wladimir Putin, nicht dafür bekannt, besonders gläubig zu sein. Seine Mutter ließ ihn heimlich taufen.
Doch der Präsident und der Patriarch kennen sich aus Zeiten, da Sankt Petersburg noch Leningrad hieß. Kyrill wird nachgesagt, dass er ebenfalls für den KGB tätig geworden sein soll.
Ihre Männerfreundschaft gereicht beiden zum Vorteil. Kyrill gilt als Verbündeter Wladimir Putins. So bezeichnete dieser die Regentschaft Putins im Zuge der Präsidentschaftswahl in Russland 2012 als „Wunder Gottes“ und kritisierte die Opposition. Kyrill wird von Kremlkritikern oft als Moralminister Putins bezeichnet, er korrigiert Lehrpläne staatlicher Schulen.
Putin gilt als Mäzen des Patriarchen. Er hat dafür gesorgt, dass die russisch-orthodoxe Kirche nicht nur ein moralisches, sondern auch wirtschaftliches Schwergewicht ist.
Das Moskauer Patriarchat hat zahlreiche Verträge über die Zusammenarbeit mit Ministerien in Bildungseinrichtungen, Kasernen, Polizeistationen, Gefängnissen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen abgeschlossen. Kirchenvertreter sitzen in staatlichen Gremien, regelmäßig treffen Beamte des Außenministeriums und Mitarbeiter des Patriarchats zu Beratungen zusammen.
Kyrill schickt seine Priester in Talkshows des staatlichen Fernsehens, ein Erzpriester erklärte dort jüngst, Menschen, die nicht glauben, seien psychisch krank. Der Patriarch folgt mit gutem Beispiel. Bei einem Besuch in der Akademie für den Staatsdienst warnte er die angehenden Beamten vor dem liberalen Westeuropa: Dort lebten schwache, bequeme Menschen, die der Opferbereitschaft der Muslime nichts entgegenzusetzen hätten.
Patriarch Kyrill verweilt in seinen Predigten im Gegensatz von Papst Franziskus nie besonders bei den Problemen der Armen. Er spricht eher über Spiritualität und die Notwendigkeit für die Russen, an das Heil der Seele zu denken. Kyrill verteidigt eisern die Werte der russischen Welt, beschwört die Einheit aller Russen und inszeniert sich als moralisches Bollwerk.
Doch Kyrills Priester klagen über weniger Besucher in den Gottesdiensten. In Russland bekennen sich zwar drei Viertel der Menschen zum russisch-orthodoxen Glauben, aber selbst staatliche Meinungsforschungsinstitute schätzen, dass nur noch zehn Prozent in die Kirche gehen.