Ex-Lageso-Chef Franz Allert: Die Abrechnung

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Lageso-Chef Franz Allert gibt auf und tritt zurück
Lageso-Chef Franz Allert (60) warf hin und rechnet mit der Berliner Flüchtlingspolitik ab. (Foto: Lageso)

Lageso-Chef Franz Allert (60) trat am 9. Dezember 2015 zurück. Auf öffentlichem Druck des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller (SPD). Die Opposition fordert die Entlassung von Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Der weigert sich.

Allert, der 13 Jahre an der Spitze der 1.000 Mann starken Mammutbehörde Landesamt für Gesundheit und Soziales LAGeSo in der Turmstraße 21 in Moabit stand, ist Beamter des Landes Berlin und kann nach Beamtenrecht gar nicht entlassen werden, höchstens in den Ruhestand geschickt werden. Dann würden ihm 75 Prozent seiner letzten Bezüge zustehen. Allert gehört zur Besoldungsgruppe  B4. Das entspricht einem Grundgehalt von 7.300 Euro pro Monat. Im Augenblick ist der Beamte Allert also nur beurlaubt und baut Überstunden ab, die er in den letzten Monaten wegen der Flüchtlingskrise angesammelt hat.

Nach de Freistellung von Franz Allert übernahm dessen Stellvertreter, Michael Thiel, die Aufgabe. Das teilte die Senatssozialverwaltung mit.

Allert geht von seinem Posten, aber nicht ohne Kritik an der Berliner Flüchtlingspolitik. Im B.Z.-Interview rechnet er nach seiner Ablöse mit seinen politischen Chefs, Müller und Czaja, und den Bezirksregierungsfürsten ab, die seine Flüchtlings-Arbeit eher verhindert als gefördert haben sollen.

Allerts Vorwürfe im einzelnen:

Seit fünf Monaten kein Gespräch mit Bürgermeister Müller. Die B.Z. fragte: „Wann haben Sie das Vertrauen von Müller verloren?“ Allert anwortete: „Kann ich Ihnen nicht sagen, da Herr Müller mit mir nie darüber gesprochen hat. Wir hatten vor fünf Monaten unser letztes Gespräch, als es den besonderes großen Flüchtlingsansturm gab. Er hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und geholfen. Das war es dann aber auch.“

Sozialsenator Czaja fehlt Durchsetzungskraft. Allert zu Mario Czaja: „Ich hätte mir mehr Durchsetzungskraft bei der Bereitstellung von Ressourcen gewünscht.“

Bezirkspolitiker blockierten Flüchtlingsheime in ihren Bezirken. Allert: „Ein anderes Problem ist aber auch, dass einzelne Politiker und Bezirke jahrelang darauf geachtet haben, dass in ihrem Kiez oder Wahlkreis keine Flüchtlingsheime entstehen. Dazu wurden rechtliche Möglichkeiten des Baurechts so genutzt, dass die Heime verhindert wurden. Manche Unterkunft ist erst mit großer Verzögerung realisiert worden, manche gar nicht.“

Bürgermeister und Sozialsenator wussten seit drei Jahren von der Personalnot und haben auf Warnungen zu spät und zu langsam reagiert. Allert: „Spätestens seit 2012 haben wir den Senatsverwaltungen für Soziales und für Finanzen sowie dem Regierenden Bürgermeister gesagt, wir brauchen schnell deutlich mehr Personal, das auch eine entsprechende Ausbildung hat und dauerhaft hier bleibt. So rennen wir derzeit immer den aktuellen Entwicklungen hinterher.“ Die B.Z. fragte: „Was hat man Ihnen gesagt?“ Allert: „Es wurde immer nur ein bisschen geholfen. Das müsse reichen. Es wurde schlicht zu spät reagiert. Das ist nicht dem Lageso oder mir anzulasten.“ B.Z.: „Sondern?“ Allert: „Die Politik hat erst spät wahrgenommen, welche Dimension die Flüchtlingszahlen haben. Man hätte früher und schneller reagieren müssen, zumal es immer wieder Warnungen von uns gab.“

Ein Gebäudeumbau wird seit anderhalb Jahren blockiert. Allert: „Wir saßen schon im Frühjahr 2014 mit der zuständigen BIM zusammen, weil wir das Haus D umbauen wollten. Da wurde aber immer wieder kritisch gefragt: Braucht ihr wirklich für längere Zeit und in diesem Umfang ein Bürogebäude?“

Strukturproblem – es gibt gar keine Gesamtverantwortung. Allert: „Seit Frühjahr bin ich nicht mehr zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen, sondern eine Leitstelle, die dem Sozialstaatssekretär unterstellt ist. Auch in den neuen Strukturen ist es nicht gelungen, genügend Unterkünfte für die Flüchtlinge bereit zu stellen. Da heißt es zwar immer Lageso, aber ich habe gar nicht die Zuständigkeit. Es gibt schlicht keine Gesamtverantwortung. Dort, wo diese fehlt, gibt es immer Reibungsverluste in der Umsetzung.“

Die Praxis Kinder und Mütter zuerst vergrößerte den Ansturm, so Ex-LAGeSo-Präsident Allert. Der Regierende Bürgermeister will künftig auch nachts die bezeizten Zelte öffnen. (Foto: Kontraste)
Die Praxis Kinder und Mütter zuerst vergrößerte den Ansturm, so Ex-LAGeSo-Präsident Allert. Der Regierende Bürgermeister will künftig auch nachts die beheizten Zelte öffnen. (Foto: Kontraste)

Praxis „Frauen und Kinder zuerst“ ist Schuld an Warteschlangen. Allert: „Es hat sich leider eine Praxis herausgebildet, die Frauen mit Kindern bevorzugt. Das hat dazu geführt, dass es eben Frauen und Kinder hier herkommen. Das war sicher eine falsche Entscheidung und die kriegen wir schwer revidiert.“

Zur Kritik von Mitarbeitern an seiner Person, er habe sein Büro in der 10. Etage nur verlassen, wenn Sozialsenator Czaja zu Besuch kam, entgegnete Allert: „Ich hatte in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Mails und Gesprächen mit Mitarbeitern, die sich von solchen Aussagen distanziert haben. Jeder weiß, dass ich selbst angepackt habe. Wochenlang stand ich vor der Tür, wenn Busse Flüchtlinge in die Unterkünfte gebracht haben. Auch am Wochenende.“

Berlins Regierender Bürgermeister Müller verteidigt seine Ablösungsforderung von LAGeSo-Chef Allert.

Dem RBB sagte Müller: Er habe bereits in seiner Regierungserklärung vor vier Wochen öffentlich Veränderungen gefordert. „Wenn dann keine Aktivitäten entfaltet werden, um die Situation zu verbessern, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn irgendwann mal Schluss ist.”

Das LAGeSo ist jetzt Chefsache von Müller. Seine erste Maßnahme: Im RBB kündigte Müller rasche Verbesserungen auf dem Gelände des Lageso in Moabit an. In der nächsten Woche sollen die Zelte dort auch in der Nacht für Flüchtlinge geöffnet werden. Dazu müssten aber noch einige Vorbereitungen getroffen werden, damit Flüchtlinge nachts nicht mehr unter freiem Himmel auf einen Termin warten müssten.

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