Die Zahl der Obdachlosen, die in Berlin einen Schlafplatz suchen, wird von der ehrenamtlichen Berliner Kältehilfe in diesem Jahr auf 6.000 Menschen geschätzt. Dem stehen aber nur 700 vorbereitete Unterkünfte zur Verfügung.
Die Kältehilfe sucht dringend mindestens 2.500 Notübernachtungsunterkünfte für die auf der Straße lebenden Menschen, hat aber Schwierigkeiten, von Gebäudebetreibern Unterkünfte zu finden, da der Berliner Senat für die Übernachtung eines Obdachlosen 15 Euro und für die Unterbringung nebst Essen für einen Flüchtling 50 Euro zahlt, wie Berlin Journal berichtete.
Um die Not ein wenig abzumildern rief die Jugenfeuerwehr Berlin Blankenburg am 2. November 2015 zu einer Spendenaktion für Obdachlose im Winter auf.
Hallo ihr Lieben,
wie die Meisten von euch wissen , werden wir den Obdachlosen unserer Stadt am kommenden Sonntag Schlafsäcke überreichen, dazu gibt es von uns noch eine heiße Suppe!
Nun würden wir euch herzlich bitten, doch mal in euren Kleiderschrank zu schauen, vielleicht habt ihr ja vorzugsweise Herrensachen wie: Dicke Jacke, Pullover, Hose, Schuhe.
Auch Decken wären toll, die ihr an die Obdachlosen entbehren könntet. Wenn ja, würde wir uns riesig über eure Spende freuen – sie muss allerdings bis Freitag, den 6.11., bei uns sein.
Bitte seht nach und kontaktiert uns. Wir sind euch sehr dankbar!
Schließlich kam eine ganze LKW-Ladung zusammen. Am Freitagabend postete die Jugendfeuerwehr:
Wow! Wow! Wow!
Wir freuen uns, dass ihr bis jetzt alle so fleißig gespendet habt und uns so sehr bei dieser Aktion unterstützt! Auf dem Bild ist nur ein Teil der gespendeten Sachen zu sehen. ! DANKE !
Am gestrigen Sonntag um 8.30 Uhr war Aufbruch. Die Jugendfeuerwehr schrieb:
Heute findet unsere Schlafsack-Aktion statt.
Ihr habt uns alle so großartig unterstützt, das ist der Wahnsinn!
Bilder unserer Aktion und ein kleines Feedback folgen im Laufe des Tages.
Gegen Mittag traf der Laster samt Gulaschsuppe in der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten in der Jebensstraße 5 in Berlin Charlottenburg ein. Die Bahnhofsmission hat jeden Tag rund um die Uhr geöffnet.
Essen, Kleidung und die Schlafsäcke fanden dankbare Abnehmer. Gegen halb Eins postete die Jugendfeuerwehr:
Unsere Aktion ist voll im Gange, und ein voller Erfolg.
Am Abend dann das Fazit der Jugendfeuerwehr:
Wir bedanken uns nochmal ganz herzlich bei allen, die uns bei dieser Aktion unterstützt haben.
Wir haben heute alle mitbekommen, wie schlecht es diesen Menschen wirklich geht, was ihnen in ihrem Leben widerfahren ist und wie dankbar sie waren, dass wir da waren und ihnen Essen, etwas zum Anziehen und Schlafsäcke gebracht haben.
Ihr alle habt zu dem heutigen Tag etwas beigetragen und nicht nur wir schätzen das, sondern auch die Bedürftigen. ! Danke !
Es fehlen Schüsseln.
Und die Bahnhofsmission braucht dringend Schüsseln für Suppen. Wer also Schüsseln, egal ob aus Porzellan oder aus Plastik, spenden kann, kann sie jederzeit in der Jebensstraße 5 vorbeibringen.
Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten, schrieb im neuen Strassenfeger „Obdachlos & krank“ (Auszug):
Schon in den letzten Jahren hatten viele Angst vor Katastrophen, befürchteten obdachlose Menschen, die im Freien erfrieren.
Milde Winter verhinderten furchtbare Szenarien, obwohl der Alltag grauenhaft genug ist, zwölf Monate im Jahr. Jedes Jahr kommen um die 1.000 Hilfebedürftigen dazu – es wird leider weiter gepokert – ausreichende Vorsorge ist nicht mehr zu erkennen.
Vor sechs Jahren begann ich meine Tätigkeit in der Bahnhofsmission Zoologischer Garten, Berlin hatte 1.000 obdachlose Menschen und knapp 500 Notübernachtungsplätze.
Damals war der Winter knackig, die Tiefsttemperaturen lagen um minus 25 Grad, ich habe grauenhafte Bilder in meiner Erinnerung, Not, Ohnmacht, totale Hilflosigkeit, Verzweiflungen, Wahnsinn, Erfrierungen – und nur wie durch ein Wunder erfror niemand. Die Menschen, die an den Folgen der Obdachlosigkeit gestorben sind, zum Beispiel an Lungenentzündungen, zählte damals aber auch niemand.
Jahre später bietet Berlin in diesem Winter 700 Notübernachtungsplätze an – herzlichen Glückwunsch, Hamburg hatte bereits im letzten Winter 850 Plätze, allerdings für 1 300 Bedürftige! 700 Notübernachtungsplätze für über 5.000 Menschen in Berlin. Wie soll das gehen?
Die Pflicht ist – niemand spricht aktuell von der Kür – nicht um zu gestalten – sondern um Sterben zu verhindern:
Notübernachtungsplätze
Es fehlen 2 500 Notübernachtungsplätze und mehr…
Krankenstation
Es gibt keine Krankenbetten für Obdachlose. Mindestens 20 Plätze wären nötig, mehr wären wünschenswert…
Frauen
Neue Plätze werden geschaffen, sie reichen nicht.Viele Frauen bleiben schutzlos.Für Schwangere sieht es finster aus…
Psychiatrische Hilfen
Eigentlich seit ewigen Gedenken bekannt, viele obdachlose Menschen sind psychisch erkrankt; oft liegt hierin die Not begründet. Gezielte Hilfen und Begleitungen gibt es aber nicht, kaum entsprechende fachärztliche Kompetenzen. An Demenz erkrankte Menschen irren folglich weiter durch den Tiergarten, ernähren sich aus Mülltonnen, haben vergessen, wo ihre Wohnungen sind…
Die Forderungen ließen sich erweitern (Unterfinanzierung der bestehenden Einrichtungen / fehlende Wohnungen / ganzjährige Notübernachtungsplätze / zusätzliche Streetworker / alternative Betreuungs- und Lebensformen / Angebote zur Vermeidung von Obdachlosigkeit un vieles mehr), es geht hier aber nur um die Essentials, nicht um das Wunschkonzert.
Ich habe enormen Respekt vor politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern, gerade in schwierigen Zeiten, und mit einigen bin ich ja befreundet. Gelegentlich muss man aber auch mit Freunden in den Konflikt. Liebe Leute – hier muss mehr möglich sein! Macht Ihr Euren Job – wir machen unseren.
Erinnerung: Als Baby in der Bahnhofmission am Zoo
In der Berliner Woche erinnert sich die 86jährige Berlinerin Margareta-Maria Räder, was ihr 1929 in Berlin Charlottenburg als Baby widerfuhr.
Damals fuhren noch Dampfloks über die Viadukte – aber die Bahnhofsmission am Zoologischen Garten war schon damals eine Zuflucht für Reisende in Not. Margareta-Maria Räder:
Warum meine Mutter ausgerechnet in die Hauptstadt wollte – das konnte sie mir nie erklären. Ganz spontan hätte sie sich damals entschieden.
So packte sie ihr noch nicht mal vier Monate altes Baby (mich) in eine Decke, nahm in die andere Hand ihre paar Habseligkeiten, setzte sich in den Zug nach Berlin und fuhr bis zum Bahnhof Zoo. Sie hatte kein Geld, keine Unterkunft – sie hatte nichts! Sie stand mit Baby und Köfferchen in der Bahnhofshalle.
Und sie hatte Glück! Zwei Frauen kamen auf sie zu und fragten, wohin sie denn wolle. Mutti erzählte mir, dass sie den Frauen ihre Geschichte berichtet hat – sie saß inzwischen in der warmen Bahnhofsmission und hatte belegte Brote und eine Kanne heißen Tee vor sich. Ihr Baby wurde auch versorgt.
Für sie stand auch ein Bett bereit, so dass dieser Tag für sie noch glücklich endete. Die Bahnhofsmission hatte inzwischen wahre Wunder vollbracht. Als meine Mutter aufwachte, konnte sie ihr Baby stillen und bekam selbst Frühstück. Dann wurden sie zu der Unterkunft gebracht, die die Mission besorgt hatte.
Es war eine typische Berliner Kochstube. In den großen Wohnungen wurden die 10 Zimmer hergerichtet, mit Wasser- und Stromanschluss versorgt und an arme Familien billig vermietet.
Da meine Mutter ja nichts besaß, hatte die Mission die Kochstube mit Bett, Babybett, Schrank, Tisch und Stühlen eingerichtet und auch für die nötige Wäsche gesorgt.
Etwas Geld und Lebensmittelgutscheine wurden ihr auch da gelassen. Ein Anfang war gemacht. Mutti hat das der Bahnhofsmission nie vergessen, und als sie ein bisschen Geld verdiente, hat sie die Mission immer mit Spenden bedacht.