Michael Oehme über enttäuschte Deutsche in der Schweiz

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„Gerade während der Corona-Pandemie wurde die deutsche Presse nicht müde, über die verantwortungslosen Schweizer zu schreiben, die sich stringenten Corona-Massnahmen wie in Deutschland nicht eilfertig anschliessen wollten. Das Gegenstück, in der Schweizer Presse, ist die Darstellung von frustrierten Deutschen, die die Schweiz verlassen, weil sie sich in der Gesellschaft nicht aufgenommen fühlen“, meint Michael Oehme, Experte für die Schweiz. Das gälte es zu hinterfragen.

Michael Oehme: Gesunde Zu- und Abwanderungsraten

Was ist dran an der Enttäuschung der Deutschen in der Schweiz, die immer wieder Gegenstand von Presseartikeln ist? An den nackten Zahlen lasse sich das schwer nachvollziehen. Jüngstes Beispiel ist der Beitrag „Ich habe die Schnauze voll“ der Autorin Lisa Horrer, erschienen in 20min.ch, einem Boulevardblatt, der Bildzeitung ähnlich (Quelle: 20min Schweiz). „Die Aussagen darin verwundern mich und kann ich aus eigenen Erfahrungswerten nicht nachvollziehen“, so Schweiz-Experte Michael Oehme, der selbst, und zwar aus Überzeugung, 2011 in die Schweiz auswanderte. Fakt ist: Rund 25 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind Ausländer (Quelle: Statista). Davon lebten rund 310.000 Deutsche vergangenes Jahr dauerhaft in der Schweiz. Etwas grösser ist nur der Bevölkerungsanteil der Italiener (Quelle: Bundesamt für Statistik). Während zuletzt etwa 20.000 Deutsche jährlich den Weg in die Schweiz fanden, zog es zwischen 12.000 bis 15.000 pro Jahr wieder zurück oder in andere Länder. Viele, die indes in die Schweiz gezogen sind, bleiben auch sehr lange da (Quelle: Bundesamt für Statistik). An diesen Zahlen ist nichts Aussergewöhnliches.

Integration oder Vorverurteilung?

„Diese Zahlen können durchaus als gesund eingeschätzt werden, dennoch gibt es immer wieder Diskussionen über die abweisenden Schweizer und die vor den Kopf gestossenen Deutschen“, so Michael Oehme. Dabei ist die Schweiz ein Migrationsland der besonderen Klasse und ein Blick in die Geschichte zeigt, dass seit der Bundesstaatsgründung 1848 Migration in der Schweiz historische Normalität war. Eine umfassende Aufarbeitung dieses Themas bietet das äusserst lesenswerte Buch „Schweizer Migrationsgeschichte – Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ (Quelle: Hier und Jetzt – Verlag). Nicht zuletzt hat die Schweiz seit ihrer Gründung immer wieder verfolgten Minderheiten den Zuzug ermöglicht, wovon letzten Endes alle profitierten. Politisch verfolgte Minderheiten fanden genauso Zuschlupf wie Menschen unbeliebter Glaubensrichtungen. Auch wirtschaftlich Benachteiligte wurden wiederholt eingesetzt. Beispielsweise spielten die Italiener im letzten Jahrhundert mit ihren Fertigkeiten eine wichtige Rolle bei den Tunnelbauten in der Schweiz. Bekanntestes Beispiel politischer Offenheit ist die Aufnahme Lenins in Zürich, der von hier aus die Russische Revolution startete (Quelle: Einfach Zürich).

Michael Oehme: Ohne Zuzug Stagnation?
Michael Oehme: Ohne Zuzug Stagnation?

Michael Oehme: Ohne Zuzug Stagnation?

Grundsätzlich stehen sich zwei konkurrierende Aspekte gegenüber: Als rohstoffarmes Land war und ist die Schweiz auf Innovationen, neudeutsch auf Brain angewiesen. Beides findet oft Zufluss durch Ausländer in die Schweiz. Nicht zuletzt gilt die Schweiz als Innovationsweltmeister (Quelle: KMU Portal). Der andere Aspekt ist die Kultur. Wie kaum eine andere Nation, sind die Schweizer stolz auf ihr Land und die Tatsache, Schweizer zu sein. Diese Kultur gilt es zu bewahren – in vielerlei Hinsicht. Vor dem Hintergrund des hohen Ausländeranteils ist dabei nachzuvollziehen, dass viele Schweizer zunächst einmal skeptisch sind, ob der deutliche Zuwachs an Ausländern verträglich ist oder nicht doch zu einer Verwässerung ihrer Kultur beiträgt. Regelmässig finden daher politische Diskussionen über unbegrenzte Zuwanderung statt – so beispielsweise bei der Zuwanderungsinitiative 2020 (Quelle: der Bundesrat).

Michael Oehme: Anerkennung von Besonderheiten

Viele Schweizer wissen dabei, dass sie auch auf ausländische Fachleute angewiesen sind. So ist der Bereich Medizin/Pflege und Gastronomie ein beliebtes Eldorado für ausländische Fachkräfte – gerade vor dem Hintergrund der deutlich höheren Einkommen (vergleiche hierzu den Beitrag: Michael Oehme – Schweizer Transaktionsmarkt für Immoblien). „Nach mehr als zehn Jahren in meinem Wunschland Schweiz weiss ich aber sehr wohl, dass ein Schweizer das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Und das ist gut so“, meint Oehme. Für den bekennenden Schweizfan war der amerikanische Satz immer wichtig: „When you are in Rome do as the romans do.“ Aber was mag der Schweizer oder besser: was mag er nicht? Zunächst einmal hassen Schweizer Aufdringlichkeit. Viele fühlen sich sprichwörtlich von den Deutschen überrannt. Das habe historische Wurzeln. „Global gesagt, tut man als Deutscher in der Schweiz daher gut daran, sich zunächst einmal mit der Geschichte der Schweiz, mit den Schweizern zu beschäftigen und sich dabei einen Spiegel vor die Nase zu halten“, so der Wunsch-Schweizer Michael Oehme. Was es damit auf sich hat, ist im nächsten Beitrag zu lesen.

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