Berlins Stadtplaner wollen Nord-Neukölln umkrempeln, aber etliche Anwohner wollen diese Sanierung nicht. Die Karl-Marx-Straße wird auf 1,4 Kilometern Länge im Zentrum von Nord-Neukölln komplett herausgerissen und saniert. Die Gehwege werden verbreitert und mit modernsten Laternen versehen, Radwege werden eingezeichnet, und die Fahrbahn wird einschließlich der darunterliegenden 100 Jahre alten U-Bahn-Tunneldecke erneuert. Öffentliche Plätze und Parks in umliegenden Straßen werden aufgehübscht, Schulen im Bereich der parallel verlaufenden Sonnenallee renoviert. Fünfzehn Jahre soll dies dauern, 60 Millionen Euro Budget sind dafür insgesamt eingeplant.
Nach der planmäßigen Fertigstellung des 1. Bauabschnitts von der Jonasstraße bis zur Uthmannstraße bis Ende 2015 wandert die Baustelle nach Norden. Von März 2016 bis Ende 2017 wird die Karl-Marx-Straße nun in einem 380 Meter langen Abschnitt zwischen Uthmann- und Briesestraße umgebaut.
Die Stadtplaner Alexander Matthes (44) von der Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft mbH (BSG) mit Sitz in der Karl-Marx-Straße 117 und Oliver Türk (40) vom Bezirksamt Neukölln mit Sitz in der Karl-Marx-Straße 83-85 betreuen die Arbeiten. Die Tagesspiegel-Reporterin Katja Demirci fasst ihre Ziele so zusammen: „Immer ist die Karl-Marx-Straße eine wichtige Geschäftsstraße gewesen, einst ein Boulevard mit Kaufhausketten und Straßenbahn, deren Gleise entlang der prachtvollen Gründerzeithäuser führten, zu denen heute kaum jemand aufschaut. Nachdem sich jahrelang vor allem Billigläden ansiedelten, soll eine neu gestaltete Straße nun wieder vielfältigere Geschäfte und Cafés anlocken. Die Sanierung soll den Abwärtstrend stoppen.“
Doch im Büro der beauftragten Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft von Matthes landete auch folgende E-Mail von einem Nord-Neuköllner:
„Wir wollen unsere Ruhe haben. Warum lasst ihr nicht alles so, wie es ist?“
Die Bewohner haben Angst vor einer Aufwertung von derzeit einfacher Lage zu mittlerer Lage im Berliner Mietspiegel. Das ist das Dilemma eines hippen Bezirks wie Neukölln. Die Mietpreise steigen auch ohne Sanierung schon seit Jahren mehr als genug, weiß Wilhelm Laumann (63), Bezirksleiter des Mietervereins und Mitglied der Lenkungsgruppe Karl-Marx-Straße. Die Mieten im Norden Neuköllns stiegen von rund 5,47 Euro kalt pro Quadratmeter im Jahr 2009 auf 7,75 Euro im Jahr 2013 und liegen mittlerweile über dem Berliner Durchschnitt von 8,41 Euro. Zählte Neukölln bei den Angebotsmieten vor 5 Jahren noch zu den günstigsten 40 Prozent Berlins, gehört der Bezirk heute mit Angebotsmieten von knapp 10 Euro zu den teuersten 20 Prozent, wie Berlin Journal berichtete.
Die fünf in Nord-Neukölln beschlossenen Milieuschutzgebiete erweisen sich in der Praxis als zahnlos, wie Berlin Journal weiter berichtete, weil die Eigentümer eine Hintertür haben: Nach sieben Jahren dürfen sie ihre Mietwohnungen verkaufen und so doch noch in Eigentumswohnungen umwandeln.
Katja Demirci fragt: „Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen dienen dem Wohl der Allgemeinheit, so steht es im Baugesetzbuch, Paragraf 136. Doch was, wenn die Allgemeinheit so divers ist wie hier?“
Stadtplaner Alexander Matthes sagte: „Neukölln ist speziell.“ Alle hier gesprochenen Sprachen passten niemals auf einen Info-Flyer. „Und die Leute sind sehr eigenständig, alter Arbeiterbezirk eben.“ Die melden sich sofort, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Andererseits brächten die kulturellen Institutionen, die Neuköllner Oper etwa, oder der Heimathafen, Menschen aus Ober- und Unterschicht zusammen.
Dennoch mündet der Anwohner-Protest auch in Graffiti, doch das haben die Stadtplaner gleich mit eingeplant.
Aus Sorge vor Aufwertung wurde die neue hellgraue Kindl-Treppe mit Graffiti besudelt, die von der Neckarstraße in der Nähe der Karl-Marx-Straße neun Meter hinauf zum Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei an der Rollbergstraße führt.
Bemalte Kreise und Streifen aus Aluminium haben die Stadtplaner auf den Flächen angebracht. Zwischendrin: Graffiti. Die gehören nicht zur Kunst – aber zu Neukölln. In Rosa hat jemand „Ficken“ an eine Wand gesprüht, zwischen einigen der bunten Kreise schlängeln sich schwarze Streifen, auch die grüne Wand am integrierten Aufzug ist beschmiert. „Graffiti ist einkalkuliert“, sagte Alexander Matthes, „das wird natürlich nicht befördert, aber auch nicht bekämpft, sondern integriert.“
Nicht intetegriert wurde der Garten von Herrn T., der sich nach der politischen Wende in der Anzengruberstraße günstig eine Eigentumswohnung gekauft hatte. Sein fußläufig zu erreichender Garten an der Karl-Marx-Straße nur 150 Meter vom Neuköllner Rathaus wurde 2011 zum Teil eines Sanierungsgebietes erklärt. Seit 2014 heißt der ehemalige Platz der Stadt Hof nun nach dem ersten Bezirksbürgermeistern von Neukölln Alfred-Scholz-Platz. Rund um eine große Platane wuchs einst das Grünzeug von Herrn T. Es musste nun einer öffentlichen hölzernen Sitzgruppe weichen, deren Holzlatten schon zum Teil zerborsten und mit Müll aufgefüllt wurden. Die Umgestaltung des Platzes dauerte drei Jahre und kostete 670.000 Euro.
„Der Platz soll die Aufenthaltsqualität an der Straße steigern“, sagte Alexander Matthes. Katja Demirci beobachtete auf der Sitzgruppe kaffeetrinkende Einkäuferinnen und debattierende ältere Herren, Jugendliche und Kinder, langjährige Anwohner und neu in ein altes Kaufhaus an der Ecke gezogene Flüchtlinge aus Afghanisten. Aber wessen Platz ist das hier?
Jedenfalls nicht mehr der von Herrn T. Die Sanierung seiner Nachbarschaft – in seinen Augen ist das ein Feldzug gegen Menschen wie ihn. Als wäre alles Alte, also auch er, nicht mehr erwünscht.
Oliver Türk vom Bezirksamt meinte: „Wir brauchen identitätsstiftende Plätze.“
Autorin Katja Emirci hält dagegen: „Wenn Identität bedeutet, dass man sich zu Hause fühlt, da wo man wohnt, dann hängt die von Herrn T. aus der Anzengruberstraße an einem dünnen Faden. Dabei ist er gar nicht grundsätzlich gegen Erneuerung. Nur eben tja, vielleicht nicht gerade hier?“
Diese Baustelle in der einstigen Einkaufs- und Flaniermeile Karl-Marx-Straße ist eine Zumutung, sagen die Händler. Es kommen weniger Kunden, und jene, die kommen, beschweren sich. Über den Dreck und den Lärm. Die Ladenbesitzer können Unterstützung beantragen – wenn sie lückenlos ihre Einnahmen der vergangenen vier Jahre nachweisen und zeigen können, dass sie nun weniger verdienen. Doch nicht viele sind überhaupt schon vier Jahre vor Ort.
Nein bitte nicht
Neukölln soll so bleiben
Gerade wegen der Bundesrepublik Vielfalt komme ich doch immer wieder gerne nach Berlin
Möchte kein zweites Mitte
Liebe gerade Neukölln und Kreuzberg
Und eine Veränderung
Bitte warum
Die Touristen können genau so gut nach Berlin Mitte zum teuren einkaufen
Wenn sich nie was verändern würde , gäbe es Stillstand und wir würden heute noch auf Nachkriegsniveau leben.
Warum, wird das jetzt eingezäunt ?
Es wäre besser so!
die Mauern kommen jetzt .was das volk will interessiert diese gestörten nicht
Comments are closed.