Polen gegen Ostsee-Pipeline 2 – aber: Ohne Russland keine Energiesicherheit

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Das Verlegschiff Casotoro 10 beim Verlegen von Nord Stream 1 vor vier Jahren. Die Ostseepipeline bringt sibirisches Gas von Wyborg in Russlan nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. (Archivbild NDR)
Das Verlegeschiff Casotoro 10 beim Verlegen von Nord Stream 1 vor vier Jahren. Die Ostseepipeline bringt sibirisches Gas von Wyborg in Russland nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. (Archivbild NDR)

Der Streit in der EU um die Abhängigkeit von Russland blockiert den Ausbau der sibirischen Gasleitung durch die Ostsee – doch es gibt gar keine Alternative, meinen österreichische Wissenschaftler.

Die bestehende 1.224 Kilometer lange Doppel-Gas-Pipeline Nord Stream, die vom russischen Wyborg an der Grenze zu Finnland entlang des Ostsee-Meeresgrundes bis nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpormmern reicht, soll verdoppelt werden, also noch einmal zwei Leitungen bekommen. Für das neue Projekt Nordstream 2 gibt es jedoch nur eine Absichtserklärung, weil die EU aus Angst vor zuviel Abhängigkeit von Russland politischen Widerstand leistet.

Dabei hat die jetzige Ostseepipeline 2015 soviel russisches Erdgas nach Europa befördert wie nie zuvor. Nach Angaben des vom russischen Energiekonzern Gazprom dominierten Betreiberkonsortiums wurden im vergangenen Jahr rund 39,1 Milliarden Kubikmeter Gas in die EU geliefert. Die Röhren sind bei einer Maximalkapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr somit um rund 71 Prozent ausgelastet.

Russland will die Leitungen bauen, um die krisengeschüttelte Ukraine als bisher wichtigstes Transitland für die Energielieferungen nach Westen auszuschalten. Von 2020 an soll kein russisches Gas mehr durch die Ukraine nach Westeuropa fließen. Russland hält den Nachbarstaat für unzuverlässig und hatte sich in der Vergangenheit über illegales Abzapfen von Gas beklagt. Beide Staaten streiten zudem über Lieferpreise und Gasschulden. Um unabhängiger von Kiew zu werden, hatte Moskau auch bereits die bestehenden Nord-Stream-Stränge von 2010 bis 2012 für 7,4 Milliarden Euro bauen lassen.

An dem geplanten Projekt Nord Stream 2 sind neben dem russischen Staatskonzern Gazprom aus Moskau auch die Konzerne OMV (Österreich), Shell (Großbritannien/Niederlande) und der größte deutsche Energiekonzern E.ON aus Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen beteiligt. Die Partner unterzeichneten im Juni 2015 in St. Petersburg ein entsprechendes Memorandum. Laut Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow wird der Gasmonopolist mindestens 51 Prozent der Anteile an der neuen Pipeline halten. Der russische Staat hält wiederum die Mehrheit am Gazprom-Konzern. „Der Bau der zusätzlichen Transport-Infrastruktur auf dem kürzesten Weg zwischen Gasfeldern im Norden Russlands und Märkten in Europa wird zur Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Lieferungen nach neuen Verträgen beitragen“, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller.

Doch die EU zeigt sich uneins über den Ausbau der Ostsee-Pipeline

Wie der NDR berichtete, habe der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk das Vorhaben im letzten Jahr scharf kritisiert. „Aus meiner Sicht trägt das nicht zur Diversifizierung der Energieversorgung bei“, sagte Tusk am 18. Dezember 2015 nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Nord Stream 2 würde die Abhängigkeit von Russland erhöhen und 80 Prozent der Lieferungen auf einer Route versammeln, so Tusk weiter. Das laufe den festgeschriebenen Zielen der EU-Energiepolitik zuwider. „Wir müssen europäisches Recht verteidigen“, so Tusk. Es gebe bisher allerdings keine abschließende rechtliche Bewertung des Falls.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat auf dem EU-Gipfel eine deutliche Positionierung der EU gegen das Projekt verhindert.

So wurde eine insbesondere von mittel- und osteuropäischen Ländern forcierte Erklärung nicht wie eigentlich geplant in das Abschlussdokument aufgenommen. In dem Papier wird das Pipeline-Vorhaben Nord Stream 2 als unvereinbar mit den Zielen der europäischen Energiepolitik bezeichnet.

Die österreischischen Wissenschaftler Gerhard Mangott (Experte für russische Politik an der Uni Innsbruck) und Johannes Pollak (forscht und lehrt über EU- und Energiepolitik am Institut für Höhere Studien und der Webster University Vienna) warnten zu Beginn diesen Jahres in einem gemeinsamen Kommentar im Wiener Standard:

„Ohne Russland gibt es keine Energiesicherheit.“

Die Wissenschaftler begründen ihre These wie folgt: „Ein wichtiger Faktor der Energiesicherheit ist die Infrastruktur. Russland versucht seit 1999, die dominierende Rolle des maroden ukrainischen Transitnetzes durch Umgehungsleitungen zu verringern. Nord Stream – in Betrieb seit 2011/12 – ist die zentrale nördliche Umgehungsleitung. Die südliche Route ist Russland bisher nicht gelungen: South Stream wurde im Dezember 2014 aufgrund des Widerstands der Europäischen Kommission aufgegeben. Die Ersatzvariante Turkstream wird wegen des türkisch-russischen Konfliktes derzeit nicht weiterverfolgt. Geopolitisch motivierte Bemühungen, die russischen Pläne zu vereiteln, müssen die Frage beantworten, wer mehrere Milliarden in die Sanierung des ukrainischen Gasleitungsnetzes investieren soll.“

Für den Ausbau des nördlichen Korridors führen die Wissenschaftler fünf Gründe an:

(1) Der Ausbau von Nord Stream ist technisch einfach und vergleichsweise kostengünstig;

(2) Nord Stream ist unabhängig von Transitländern;

(3) Gas wird damit auf den nördlichen Spotmärkten verfügbar – von dort wird Gas über ganz Europa verteilt;

(4) Gas ist eine lokale Ware, das heißt, je näher zum Produktionsstandort sich der Käufer befindet, umso günstiger. Und Russlands Gasvorräte befinden sich vor der Haustür Europas.

(5) Russland hat sich in den letzten 50 Jahren als verlässlicher Lieferant erwiesen; die Lieferengpässe 2006 und 2009 waren wesentlich dem Transitland Ukraine geschuldet.

Was wäre denn die Alternative?, fragen die Forscher und geben folgende Antwort:

„In Europa spricht man von Diversifizierung der Lieferanten, Diversifizierung der Versorgungsrouten, Energieeffizienz, erneuerbarer Energie sowie der Vollendung des Energiebinnenmarktes. All dies ist vorbehaltlos zu begrüßen, aber auch an der Realität zu messen. Wer sind die Lieferanten, die für Russland einspringen könnten? Flüssiggas (LNG) der USA wird sich die teuersten Absatzmärkte suchen, und das ist derzeit Asien. Der EU fehlt die Infrastruktur, um LNG von West nach Ost zu verteilen. Und russisches Gas wird mindestens so günstig zu beziehen sein wie US-LNG.

Nordafrika ist aufgrund der politischen Unruhen und des steigenden Binnenverbrauchs kein Lieferant für höhere Erdgasmengen. Irans Gasindustrie und -infrastruktur benötigen zumindest eine Dekade zur Modernisierung. Die vor allem im Süden des Landes konzentrierten Gasfelder werden in erster Linie die stark steigende Binnennachfrage bedienen müssen, auch um das Regime zu stabilisieren. Die exportierbaren Gasreserven Aserbaidschans sind begrenzt; Gas aus Turkmenistan wird vorwiegend nach China exportiert, und es fehlt die Transportinfrastruktur nach Westen. In beiden Fällen würde die sich immer stärker islamisierende Türkei zum zentralen Verteilzentrum des Gases aus Zentralasien. Ungeklärt wäre weiterhin, wie das Erdgas von der türkischen Grenze in die EU gelangen soll. Die rumänische und bulgarische Infrastruktur kann dies aufgrund von überalterter und sanierungsbedürftiger Technik nicht leisten. “

Die Angst vor Abhängigkeit von Russland teilen die Forscher nicht, im Gegenteil: „Gasleitungen sind zudem nicht nur technische Infrastruktur, sondern verbinden Staaten. Die erhöhte Interdependenz mit Russland schafft wechselseitige Abhängigkeiten. Die EU wird weiterhin Gas aus Russland beziehen müssen, Russland wird weiterhin auf den lukrativen europäischen Markt setzen, auf den 2014 75 Prozent der russischen Gasexporte entfielen. Die gesamte Leitungsinfrastruktur Russlands führt nach Westen, alle vollmundig angekündigten Pläne für eine Energiekooperation mit China sind bisher Makulatur. Damit bleibt Russland vom europäischen Markt außerordentlich abhängig. Die Gasbeziehungen zwischen Russland und Europa sind von symmetrischer Dependenz gezeichnet; sie stellen daher ein kalkulierbares Risiko dar, wenn der Anteil Russlands am Gaskonsum der EU auf 30 Prozent beschränkt bleiben kann. Gazprom selbst erwartet keinen höheren Anteil am europäischen Gasmarkt.“

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8 KOMMENTARE

  1. Die Polen verbitten sich jegliche deutsche Einmischung in ihre Innenpolitik. Mit dem gleichen Recht verbitten wir uns jegliche polnische Einmisschung in das deutsch-russische Verhältnis.

    • die Polen mischen sich nicht in die Interessen der Deutschen, keine Sorge. Vielmehr sehen wir zu wie sich das Land selbst ruiniert, jede Menge Kriminelle ins Land holt und sich von der Türkei abziehen lässt.

    • Die Nettozahlungen, die wir an die EU entrichten und von denen Polen mit am meisten profitiert ruinieren uns viel mehr! Die Osterweiterung der EU war einer der schlimmsten politischen Fehler.. Eine Reduzierun des Wodkakonsums wäre auch nicht schlecht. Dann gäbe es weniger tödliche Verkehrsunfälle. Ich scheiße auf diese moralische Überheblichkeit. Haltet die Russen doch allein in Schach.

  2. „Wer sich mit dem Teufel an den Esstisch setzt braucht einen langen Löffel.“..in diesem Sinne sollte man nicht nur die Vorteile einer „sicheren“ Gasversorgung durch russisches Erdgas sehen sondern sich auch verinnerlichen WER beim Lieferanten die Kontrolle ausübt…und dass dieser missliebigen Regierungen gern mal besagten Gashahn zudreht – „technische Probleme heißt dann das Zauberwort…..ein Schelm wer böses dabei denkt…

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