Während das Russland-Embargo wegen der Ukraine-Krise deutsche Milch- und Schweinebauern reihenweise in den Ruin treibt (die Zahl der aufgegebenen Betriebe verdoppelte sich 2015 gegenüber dem Vorjahr auf 4 Prozent), reiben sich die Russen in Wladiwostok die Hände. Es werden sogar privat Kapellen für Wladimir Putin, den 63jährigen Präsidenten der Russichen Förderation, gestiftet und gebaut.
Wenn der Westen dicht ist, macht Putin einfach das Tor nach China im Osten weiter auf.
In jeder Krise steckt auch eine Chance, das sagen die Chinesen. Und registrieren hocherfreut, dass sich Russland, das größte Land der Erde, plötzlich ihnen zuwendet und sich von der EU abwendet. Politisch verbindet die beiden Großmächte wenig. Aber gemeinsam träumen sie davon, den Osten zu entwickeln und in Sibirien einen Boom auszulösen. Symbol für die neuen russischen Prioritäten ist Wladiwostok. Übersetzt: Beherrsche den Osten.
Wladiwostok ist der Ort, an dem in Russland die Sonne aufgeht. China liegt um die Ecke, Japan und Korea. Er ist zum einen der Kriegshafen für das Chinesische Meer und der Handelshafen für halb Asien.
Für den asiatischen Teil des russischen Riesenreichs sei die Ukraine-Krise eine Chance, sagt Wiktor Schlamenko, Kapitän eines Schleppers im Hafen von Wladiwostok, gegenüber ARD-Weltspiegel. „Jetzt haben sie in Moskau endlich die Bedeutung hier im fernen Osten verstanden. Wir werden uns in Zukunft mehr Asien zuwenden. In Wladiwostok wird im Eiltempo gebaut und entwickelt sich etwas. Das wird in naher Zukunft noch viel mehr werden. Wladiwostok ist der Ort, wo in Russland was passiert.“
Wer die letzten Jahre nicht in Wladiwostok war, kommt sich vor wie in einer vollständig anderen Stadt. Eine nagelneue Brücke über dem goldenen Horn, der Ausbau des Hafens, Baustellen überall, Bürotürme, Milliardeninvestitionen, Wohnsiedlungen. Überall ist das Geld aus Moskau zu sehen. Der Hafen soll jetzt zum großen Freihafen ausgebaut werden. Und draußen wartet Frachter nach Frachter aus Fernost auf die Einfahrt nach Wladiwostok.
Auch Kapitän Wiktor Schlamenko baut, direkt am Steinufer der Amurbucht zum Japanischen Meer. Es ist ein Neubau der besonderen Art. Eine Kapelle soll es werden. Tausende Euro teuer, gebaut aus reinem Patriotismus.
„Das soll eine spirituelle Unterstützung für unseren Präsidenten werden“, sagt Kapitänsfrau Djana Schlamenkow. „Sehen Sie, jetzt haben so viele Länder gegen Russland Sanktionen erlassen. Das macht es für Russland nicht gerade besser. Was können wir tun? Zu den Waffen werden wir beide ja nicht mehr greifen. Also haben wir eine Kapelle gebaut.“ Zur Einweihung im Sommer haben die beiden Wladimir Putin eingelande. Sollte er kommen, werde er Freude an der Innendekoration haben. Das wird russischer Patriotismus pur.
Wiktor Schlamenkow: „Hier innen werden wir alles symbolisch ausmalen lassen. Dort am Fenster kommt die Ikone des siegreichen heiligen Georgs hin. Und ich will, dass sie auf der Flagge der russischen Kriegsmarine gemalt wird.“
Nationale Begeisterung? Militarismus? Wie kommt jemand wie Wiktor dazu, aus privater Tasche dafür so viel Geld zu opfern?
Abends auf Wiktors Datscha beim Essen mit Freunden wird klar: Alle hier denken wie Viktor. Bei Wodka und Fischsuppe wird auch klar, warum. Moskau interessiert sich jetzt für sie. Und von den negativen Folgen der Ukraine haben sie bestenfalls gehört.
Die Russen in Wladiwostok haben von den fehlenden Importen von Schwein, Milch und Geflügel aus dem Westen nichts gespürt. In Wladiwostok kommt schon seit eh und je überwiegend Fisch auf den Tisch, und davon habe man reichlich.
Ein Wladiwostoker erklärt: „Unsere Wirtschaft muss sich entwickeln. Deswegen bin ich für Putin. Hier in Asien muss etwas passieren. Wir können doch nicht immerzu Bodenschätze ausheben und hoffen, dass uns Onkel Sam ein paar Scheine in die Hand drückt.“
Wiktor Schlamenko konstatiert nach dem Essen: „Russland ist ein Riesenland. Und man sollte lieber Freundschaft mit Russland haben statt Konflikte oder Sanktionen. Europa schneidet sich ins eigene Flasche. Russland hat nämlich auch Beziehungen zu anderen Staaten. Ich hoffe, wir werden auch wieder mit Europa vernünftige Beziehungen haben.“
Wladiwostok mit seinen neuen Brücken und seinem nagelneuen Opernhaus (die Russen sind nach wie vor verrückt nach Oper, und die Putin-Kapelle spielt Tschaikowski, Russlands alte Musik für eine aufstrebende Metropole) sieht aus wie eine europäische Stadt. Aber Wladiwostok liegt definitiv in Asien.
Man muss nur einmal auf den chinesischen Markt der Stadt gehen, um sich eine Welt ohne europäische Waren anzusehen. Die Wladiwostoker können darauf hoffen, dass das Leben in Wladiwostok durch die meist illegalen chinesischen Händler bezahlbar bleibt. Wenn in Wladiwostok tatsächlich einmal Waren durch Sanktionen wegfallen sollten, werden diese einfach durch chinesische ersetzt.
Der Osten Russlands, jahrzehntelang ein Stiefkind, blüht auf. Putin sei Dank, meinen die Alten.
Und die Jugend verehrt Putin russlandweit wie einen Popstar. Man habe keine Angst sagt ein junger Russe, 200 Kilometer von Moskau entfernt. Man finde es spannend, wie der Kampf zwischen den USA und Russland ausgeht. In der Schule haben sie gelernt, dass der Ukraine-Konflikt von den USA gesteuert sei. Ukrainer und Russen könne man aber schon wegen der Tradition nicht auseinanderbringen. Der erste Alleinherrscher über Russland, der Heilige Waldemar I. (1890-1015), wurde 1890 in einer ukrainischen Kirche auf der Krim getauft, die heute zu Russland gehört.
Und nun lasse sich Europa von den USA instrumentalisieren, ist gängige Meinung. Natürlich spürt jeder Russe die Schwächung des Rubels, weil alles teurer wird. Das betrifft aber besonders Produkte aus dem westlichen Ausland, wie etwa Möbel aus Italien. Die Preise zogen in Russland um 30 Prozent an. Was wiederum russische Möbelfabrikanten freut, die ein Absatzhoch verspüren. Ihre Möbel, auch Luxusstücke, liegen weit unter den westlichen Preisen und sind nur um 10 Prozent gestiegen.
In Berlin musste die weltgrößte Agarmesse, die Grüne Woche in Berlin, in diesem Jahr zum ersten Mal ohne die Russen auskommen.
Sie blieben fern. Mecklenburg-Vorpommerns Bauernpräsident Rainer Tietböhl, der selbst 230 Milchkühe hält, nannte die Verluste der Milcherzeuger gravierend. Er sprach von 50 Prozent Einbußen in seinem Betrieb 2015 im Vergleich zum Vorjahr, in ganz Mecklenburg-Vorpommern von 44 Prozent.
Derzeit zahlten die Molkereien 26 bis 27 Cent pro Liter Milch. Kostendeckend wären 35 bis 36 Cent, „aber selbst dann hat der Landwirt noch nichts verdient“, sagte er. Ein Grund für den Niedrigpreis sei, dass wegen des Russland-Embargos Milcherzeuger in ganz Europa die Milch nicht absetzen könnten. Die Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern entließen über den Winter wieder Leute aus dem Ackerbau in die Arbeitslosigkeit. „Das haben wir in den vergangenen Jahren nicht gemacht“, sagte der dortige Bauernpräsident Tiebböhl.
Er appelliert daher im Fachmagazin Top Agrar aus Münster (NRW) an die Bundesregierung: „Wir brauchen Russland als Absatzmarkt, aber vor allem, um den Frieden zu bewahren.“
Genau , den gesamten Westen zuscheissen.
Ein Volk mit Weitsicht
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