Stimmung und Fake-News: die heimlichen Meinungsmacher

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SWR-Reporter sind auf Dokumente gestoßen, die darauf hindeuten, dass ausländische Akteure soziale Medien nutzen, um in Deutschland Angst und Desinformation zu verbreiten. Mit Stimmung kann man zum Beispiel auf Facebook erheblichen Wahleinfluss nehmen.

Stimmung  gegen die CDU: Das russische Staatsmedium RT DE zog am 7. September 2021 auf seiner Facebook-Seite den amtierenden CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus Berlin durch den Kakao: „Aber auch einen Job für sich als Erzieher in einer Kita halte er für denkbar.“ © Facebook.com/rtde vom 7. September 2021
Stimmung  gegen die CDU: Das russische Staatsmedium RT DE zog am 7. September 2021 auf seiner Facebook-Seite den amtierenden CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus Berlin durch den Kakao: „Aber auch einen Job für sich als Erzieher in einer Kita halte er für denkbar.“ © Facebook.com/rtde vom 7. September 2021

Russlands Einflussnahme auf den US-Wahlkampf ist ja bereits mehrfach belegt. In Deutschland warnen nun sowohl das Innenministerium als auch der Verfassungsschutz vor dem russischen Sender RT DE.

Die gemeinnützige globale Organisation Avaaz mit Sitz in New York hat am 6. September 2021 eine Untersuchung  mit dem Titel „Deutschlands Desinformations-Dilemma 2021“ veröffentlicht.

Darin heißt es: „Ein Blick in unsere Desinformations-Datenbank, in der wir systematisch Desinformations-Narrative gesammelt haben, die von den unabhängigen Faktenprüfern AFP, DPA und Correctiv entlarvt wurden, zeigt: Im Jahr 2021 wurde https://de.rt.com/ mehrmals von Faktenprüfern entlarvt (Factcheck 1 , Factcheck 2 , Factcheck 3), und es wurde auf „falsche oder irreführende” Inhalte in Artikeln von RT DE hingewiesen. In zwei von drei Fällen hat RT DE jedoch nach der Veröffentlichung der Faktenprüfung eine Korrektur durchgeführt und dies auch klar gekennzeichnet.“

AFD-Partei/Politiker/Fan-Seiten als Hauptverbreiter von RT DE-Artikeln

Betrachtet man die 100 Artikel von https://de.rt.com/, die im ersten Halbjahr 2021 (1. Januar bis 21. Mai  2021) auf Facebook die meisten Interaktionen erzielt haben, so zeichnet sich folgendes Bild ab: Ein Drittel der Facebook-Posts, die RT DE-Artikel teilen, kommen von Facebook-Seiten mit Bezug zur AfD. Dabei handelt es sich sowohl um AfD-Partei und PolitikerInnen-Seiten wie auch um AfD-Fan- und -Community-Seiten. Auch „Alternative News Seiten”, Akteure aus dem rechten politischen Spektrum und Querdenker gehören zu dem Verbreitern von RT DE-Artikeln.

Stimmung im Wahlkampf gegen die Grünen: Am 5. September 2021 postete das russische Staatsmedium die Grünen-Kanzlerkandidatin mit geschlossenen Augen und weit ausgestreckten Armen auf Facebook: „Hat Baerbock nichts zu sagen“ © Facebook.com/rtde vom 7. September 2021
Stimmung im Wahlkampf gegen die Grünen: Am 5. September 2021 postete das russische Staatsmedium die Grünen-Kanzlerkandidatin mit geschlossenen Augen und weit ausgestreckten Armen auf Facebook: „Hat Baerbock nichts zu sagen“ © Facebook.com/rtde vom 7. September 2021

Hinzu kommen gezielte Desinformationen in Sozialen Medien: Am meisten Stimmung gegen Baerbock

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist im Wahlkampf am häufigsten von Kampagnen zur Desinformation betroffen. Einige Fake-News wurden dann auch von Zeitungen übernommen.

Untersuchungsgrundlage sind 85 Desinformations-Narrative aus dem Jahr 2021, die insgesamt 30 verschiedene PolitikerInnen betreffen - aus allen Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind. Unter den Kandidierenden für das Kanzleramt ist Annalena Baerbock Ziel Nummer 1 von Desinformations-Narrativen. Insgesamt entfallen 71 % der Desinformations-Narrative über Kanzlerkandidierende auf die Kandidatin der Grünen © Avaaz: Deutschlands Desinformations-Dilemma 202, eine Analyse zu Desinformation und Sozialen Medien im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl vom 6. September 2021
Untersuchungsgrundlage sind 85 Desinformations-Narrative aus dem Jahr 2021, die insgesamt 30 verschiedene PolitikerInnen betreffen – aus allen Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind. Unter den Kandidierenden für das Kanzleramt ist Annalena Baerbock Ziel Nummer 1 von Desinformations-Narrativen. Insgesamt entfallen 71 % der Desinformations-Narrative über Kanzlerkandidierende auf die Kandidatin der Grünen © Avaaz: Deutschlands Desinformations-Dilemma 2021, eine Analyse zu Desinformation und Sozialen Medien im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl vom 6. September 2021

Demnach wurden in der Zeit von Januar bis Ende August 2021 über keinen anderen Politiker oder keine andere Politikerin so viele Falschmeldungen verbreitet, wie über die Spitzenkandidatin der Grünen.

Den Kreis noch etwas größer gefasst: Von Falschnachrichten zu Top 10-Politikerinnen und-Politikern, die am häufigsten Ziel von Falschnachrichten wurden, betreffen 25 Prozent Annalena Baerbock. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Bundeskanzlerin Angela Merkel (13 Prozent) und CDU-Kandidat Armin Laschet (zehn Prozent).

Auch die Datenanalysten der Medienbeobachter Pressrelations und Newsguard haben Falschmeldungen in unterschiedlichen Medien untersucht. Sie kommen darin zum gleichen Ergebnis wie Avaaz: Die große Mehrheit der Desinformationskampagnen richtet sich gezielt gegen Baerbock und die Grünen.

Baerbock und die „Haustier-Lüge“

Links der Facebook-Post vom 21. April 2021 mit dem Desinformations-Narrativ „Haustierverbot”, der im Factcheck von AFP angegeben wird (22. April 2021). In der Mitte die Berichterstattung in den Stuttgarter Nachrichten und rechts die Medienberichterstattung in Der Westen über das hier behandelte Desinformations-Narrativ © Avaaz: Deutschlands Desinformations-Dilemma 202, eine Analyse zu Desinformation und Sozialen Medien im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl vom 6. September 2021
Links der Facebook-Post vom 21. April 2021 mit dem Desinformations-Narrativ „Haustierverbot”, der im Factcheck von AFP angegeben wird (22. April 2021). In der Mitte die Berichterstattung in den Stuttgarter Nachrichten und rechts die Medienberichterstattung in Der Westen über das hier behandelte
Desinformations-Narrativ © Avaaz: Deutschlands Desinformations-Dilemma 2021, eine Analyse zu Desinformation und Sozialen Medien im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl vom 6. September 2021

Am selben Tag (22. April 2021), an dem die Faktenprüfer Correctiv, DPA und AFP ihre Artikel über eine auf Facebook gefundene Falschmeldung vom 21. April 2021 veröffentlichen, erschien beispielsweise in den Stuttgarter Nachrichten ein Artikel mit dem Titel „Fordert die Kanzlerkandidatin wirklich ein Haustierverbot? ” Die Überschrift wird hier in Form einer Frage gestellt, sodass für die LeserInnen nicht von Anfang an klar ist, dass es sich um eine Falschnachricht handelt. Am 29. April 2021 publiziert außerdem Der Westen (Website der Funke Mediengruppe) den folgenden Artikel „Annalena Baerbock: Hasst sie wirklich Hunde? Zitat macht die Runde – das steckt wirklich dahinter ”. Erneut: Aus der Überschrift wird nicht deutlich, dass es sich hier um ein frei erfundenes Zitat handelt.

So verbreitete sich das Gerücht, Baerbock wolle angeblich Haustiere verbieten lassen. Kurz zuvor hatte Baerbock ihre Kanzlerkandidatur bekanntgegeben. Diese Haustier-Falschmeldung schaffte es über die sozialen Medien dann sogar in seriöse Medien, wie zum Beispiel Tageszeitungen, obwohl die Geschichte nicht stimmte. Ebenso wie angebliche Nacktfotos der Spitzenkandidatin – die es nie gab.

Christoph Schott, Kampagnendirektor bei Avaaz: „Desinformation hat auch in Deutschland das Mainstream-Publikum erreicht. Die Bundesrepublik läuft Gefahr, in die Fußstapfen der USA zu treten, wo Trumps Tweets – ob wahr oder falsch – von den Mainstream-Medien weit verbreitet wurden.“

Stimmung im Wahlkampf aus dem Ausland – wer steckt warum dahinter?

SWR-Zuschauer Sieber erkannte am 7. September 2021 folgenden Zusammenhang: „Es ist doch absolut kein Wunder, dass am meisten Fake-News zu Annalena Baerbock verbreitet werden von Playern wie RT (Russia Today), die gelenkt vom Kreml, ihre Geschäfte mit Erdgas (vereinfacht ausgedrückt) und damit ihre Gelddruckmaschine gefährdet sehen.“

Die Rolle Russlands bei der politischen Radikalisierung in Deutschland bestätigte dem SWR ein Insider.

Diese Aussage ordnete ein Experte für Manipulation im Netz, Pascal Jürgens von der Universität Mainz, so ein: Das funktioniere „wie ein Franchise-Modell für Verschwörungstheorien mit einer so hohen und dichten Vernetzung untereinander, dass die demokratische Gesellschaft dem kaum etwas entgegensetzen kann.“

Hackerangriffe auf Bundestag und Abgeordnete

Auf einen weiteren gefährlichen Sachverhalt weist der Cyber-Sicherheitsberater von Nato und Bundesregierung Sandro Gaycken hin: Die Hetze im Netz werde von gezielten Hackerangriffen auf Abgeordnete und Bundestag flankiert. Dagegen müsse die Regierung mehr tun, fordert der Experte: „Der Cyberraum ist hochgefährdet und die deutsche Regierung ist sehr schlecht darin, ihn technisch abzusichern. Das Problem: Wer Deutschland angreift, muss keine Konsequenzen fürchten.“

RT DE kommentierte deutsche Vorwürfe über Hackerangriffe aus Russland auf seiner Facebook-Seite mit dem Satz: „Ohne Beweise“.

RT DE überholt BILD, SPIEGEL und Tagesschau auf Facebook

Hier zu sehen sind die sechs erfolgreichsten Posts (views) der Facebook-Seite von RT DE vom August 2020. Fünf der sechs Posts sind Live-Übertragungen von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen © Avaaz: Deutschlands Desinformations-Dilemma 202, eine Analyse zu Desinformation und Sozialen Medien im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl vom 6. September 2021
Hier zu sehen sind die sechs erfolgreichsten Posts (views) der Facebook-Seite von RT DE vom August 2020. Fünf der sechs Posts sind Live-Übertragungen von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen © Avaaz: Deutschlands Desinformations-Dilemma 2021, eine Analyse zu Desinformation und Sozialen Medien im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl vom 6. September 2021

Im ersten Halbjahr 2021 schaffte es RT DE dann auf Facebook, die Mainstream-Medien BILD, SPIEGEL oder Tagesschau zu überholen und verzeichnet insgesamt mehr Interaktionen auf Facebook (12,03 Millionen bei RT DE im Gegensatz zu 11,34 Millionen bei der Tagesschau, 11,16 Millionen bei BILD, 10,47 Millionen bei DER SPIEGEL). Interessant dabei: BILD hat 2,5 Millionen Follower auf Facebook, Tagesschau knapp 2,2 Millionen und Der SPIEGEL 2,1 Millionen.

RT DE hingegen hat lediglich knapp über 600.000 Follower. Das bedeutet:

Mit weit weniger Followern erzeugt RT DE mehr Interaktionen und damit Stimmung als die etablierten deutschen Medien.

Im Rahmen der Social-Media-Analyse hat sich Avaaz dessen Performance auf Facebook angeschaut und folgendes festgestellt: Nach einem massiven Anstieg im Herbst letzten Jahres hat die Facebook-Seite von RT DE im ersten Halbjahr 2021 mehr Interaktionen erzeugt als die Seiten von Bild, Spiegel oder der Tagesschau.

Rezept für Stimmung: Fünf der sechs erfolgreichsten Facebook-Posts von RT DE sind Live-Berichte über Proteste.

Ähnlich wie RT France bei den Protesten der Gelbwesten im Jahr 2019 war RT DE im August 2020 vor allem mit der Live-Berichterstattung zu der Corona-Protestbewegung besonders erfolgreich. Der Facebook-Beitrag von RT DE vom 29. August 2020 erreichte über fünf Millionen Videoaufrufe und berichtet von der Großdemo in Berlin. Dies ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass RT DE offenbar seit Längerem einen Fernsehsender für Deutschland plant und versucht, eine Fernseh-Lizenz zu erhalten – damit jedoch zuletzt in Luxemburg gescheitert ist.

Möglicher Nährboden für Stimmung: „Ursachen, werden nicht beleuchtet!“

SWR-Zuschauer Holger kritisierte am 7. September 2021 in seinem Kommentar: „Wie kann es dazu kommen, dass sich so viele Menschen beeinflussen lassen? Die Ursachen werden nicht beleuchtet! Nur wer diese bekämpft, kann langfristig die „Abtrünnigen“ wieder zurückbekommen. Meiner Meinung liegen die Gründe unter anderem an der immer größeren Schere zwischen Armen und Reichen und an der zum Teil inkompetenten Regierung, wo Lügen und leere Versprechen, Korruption (Lobbyismus) keinerlei Konsequenzen haben.“

Holger weiter: „Immer mehr Politiker sind nicht unabhängig und haben Posten in Firmen, welche im Konflikt mit ihrer Arbeit in der Regierung stehen. Weiter werde von den etablierten Nachrichtensendern Menschen in Schublade gesteckt (zum Beispiel alle Corona Kritiker sind entweder Rechte, Querdenker oder Reichsbürger). Das spaltet und drängt Kritiker in die extremen Gruppen. Wer sich erlaubt, anders Denkende zu diffamieren, hat aus der Geschichte nicht gelernt.“

Auch Zuschauer Bert fragte am 7. September 2021: „Ursachen vergessen?“

Bert: „Macht ihr auch noch eine Doku darüber, wie die gezielte Bildungspolitik der letzten 4 Bundesregierungen erst das Feld für solche Ansichten und Meinungen bereitet hat? Wer sich so auffällig wenig um die Netz- und Medienbildung der Jugend/Bevölkerung kümmert, muss sich nicht über solche Blüten wundern. Wer, wie die aktuelle Groko, im Koalitionsvertrag bestimmte Verleger mit Steuervorteilen versorgen wollte, muss sich nicht wundern, wenn sich diese Medienkonzerne dann eben „bedanken“, wenn der Steuervorteil doch nicht kommt. (Rentenbeiträge der Zusteller). Also bitte immer auch die Ursachen beachten, bevor ihr nur traurig über den Ist-Zustand berichtet.“

Social Media Plattformen könnten gegensteuern.

Diese Untersuchungsergebnisse zeigen deutlich: Desinformation hat auch in Deutschland die Massen erreicht und hat das Potential, eine Gefahr für die Bundestagswahlen darzustellen.

Die Avaaz-Studie empfiehlt: „Ein verantwortungsvoller Umgang mit Berichterstattung im Fernsehen und in den Mainstream-Medien über Desinformations-Narrative in den letzten Wochen vor den Wahlen ist daher unerlässlich. Die Verantwortung, Richtigstellungen von unabhängigen Faktenprüfern genau all jenen NutzerInnen anzuzeigen, welche die ursprüngliche Falschnachricht gesehen haben, liegt aus unserer Sicht vorrangig bei den Social Media Plattformen selbst. Nur sie wissen, welche NutzerInnen mit der Desinformation in Kontakt gekommen sind und können somit gezielter gegensteuern.“

Bei der Zusammenstellung von Screenshots von Facebook-Posts, die Falschnachrichten zu Annalena Baerbock beinhalten, welche von unabhängigen Faktenprüfern entlarvt wurden, stellte Avaaz fest: Weniger als 50 Prozent der Posts wurden mit einem Warnhinweis versehen – die Mehrheit nicht.

Immerhin hatte Facebook am 14. Mai 2021 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgendes Versprechen abgegeben:

„Die Bundestagswahl 2021 stehe ganz oben auf der Agenda, sie sei Facebooks „Top Priority“, versichert Nick Clegg.

Seit 2018 ist er Facebooks oberster Politik-Stratege und weiß die Bemühungen seines Arbeitgebers zu verkaufen. Von einem interdisziplinären Team mit 200 Mitarbeitern berichtete Clegg, unter ihnen ehemalige Verfassungsschützer, Ermittler, Computerspezialisten. Seit dem vergangenen Herbst arbeitet sich die Truppe schon durch die Tiefen des Facebook-Netzwerks, um nach Bedrohungen Ausschau zu halten.“ Derweil wird RT DE nicht müde, im Bundeswahlkampf Stimmung zu machen. (FM)

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