Abschied von Hans-Dietrich Genscher. Deutschlands langjährigster Außenminister (1974-1992) und Ehrenbürger von Berlin und seiner Kindheitsstadt Halle starb nach Angaben seines Bonner Büros am Abend des 31. März 2016 an Herz-Kreislauf-Versagen im Kreise seiner Familie in seiner Wahlheimat im rheinischen Wachtberg-Pech bei Bonn. Er wurde 89 Jahre alt.
Der studierte Rechtsanwalt und Volkswirt war im August 1952 aus Sachsen-Anhalt nach Bremen geflohen. Sein Markenzeichen wure ein gelber Pullunder. Gelb symbolisierte den Liberalismus, der für Genscher „die umfassendste Alternative zum Unrecht“ war. Von 1974 bis 1985 war Genscher Vorsitzender der FDP in der Bundesrepublik.
Als geflüchteter Ossi kämpfte er im Westen für die Wiedervereinigung Deutschlands. Am 30. September 1989 verkündete er vom Balkon der Deutschen Botschaft in Prag: „Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise (Tausendfacher Aufschrei und Jubel) … in die Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist.“
Genscher hatte an diesem denkwürdigen Tag nicht mal seinen gelben Pullunder an. Es war alles anders an diesem Tag. Genscher kam geradewegs aus New York, wo er die Ausreisebedingungen mit ausgehandelt habe. Die Züge von Prag nach Hof bei München sollten über das Territorium der DDR führen. Genscher war eigentlich gekommen, um den Geflüchteten die Angst zu nehmen, dass sie auf dem DDR-Terrotorium verhaftet und ins berüchtigte Stasigefängnis Bautzen eingekerkert werden könnten. Das würde nicht passieren und passierte auch nicht. Die Züge standen zwar lange vor der Grenze zur Bundesrepublik, doch dann rollten sie unbehelligt durch.
Genscher hat nicht nur die Verträge der deutschen Wiedervereinigung maßgeblich ausgehandelt, sondern auch den Europa-Frieden gesichert, indem er die Grenzen zu Polen als endgültlig aushandelte.
Genscher war tiefgerührt, als ihm seine Heimatstadt Halle 1991 als erste Stadt die Ehrenbürgerschaft verlieh: „Wer überhall zuhause ist, ist nirgends daheim. Ich bin es hier.“
Schmerz bereitete ihm, dass er als damaliger Bundesinnenmister (1969-1974) im Jahr 1972 die Anschläge auf die Olympischen Spiele in München nicht verhindern konnte. Die palestinensischen Terroristen nahmen 11 israelische Sportler als Geiseln. Genscher bot sich selbst als Austauschgeisel an. Vergebens: Aller 11 Sportler, 1 Polizist und 5 Terroristen kamen ums Leben.
Nach 18 Jahren Vielfliegerei als Bundesaußenminister gab Genscher das Amt mit 65 Jahren freiwillig zurück. Er hatte seiner Frau folgenden Witz über sich erzählt: Ötzi wurde in den Alpen gefunden, in eine Hütte gebracht. Beim Feuer tauter er auf und kam zu sich. Seine erste Frage lautete: Ist Genscher noch Außenminister? Da meinte Genscher, sei es genug.
Bundespräsident Joachim Gauck war einer der Ersten, die den Verstorbenen als herausragende Persönlichkeit würdigten. „Mit seiner Verlässlichkeit und seinem diplomatischen Geschick hat Hans-Dietrich Genscher unserem Land in der Welt ein Gesicht gegeben und das Vertrauen bei unseren Partnern gestärkt“, betonte Gauck in einem Kondolenzschreiben an Genschers Frau Barbara.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte in einer Mitteilung: „Ich verneige mich in Hochachtung vor der Lebensleistung dieses großen liberalen Patrioten und Europäers.“ Sie bleibe „für all die Gespräche und Begegnungen mit ihm dankbar, bei denen ich bis in die letzten Jahre von seiner Welterfahrung und Lebensweisheit schöpfen durfte“. Genscher habe das Amt des Außenministers geprägt wie kein anderer.
FDP-Chef Christian Lindner würdigte Genscher als „Architekt der deutschen Einheit und Taktgeber Europas“. Für seine liberale Partei war er „ein väterlicher Freund, der uns bis zuletzt mit Rat und Tat zur Seite stand“. Er sei persönlich „tieftraurig, dass wir nach Guido Westerwelle eine zweite große Persönlichkeit verlieren“. Westerwelle starb am 18. März 2016 im Alter von 54 Jahren an Blutkrebs, wie Berlin Journal berichtete.
Einer der wichtigsten politischen Weggefährten im zu Ende gehenden Kalten Krieg, Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow (85), nannte Genschers Tod einen großen Verlust: „Man sagt, dass es in der Politik keine Freunde geben kann. Das stimmt nicht. Hans-Dietrich Genscher war in den letzten Jahren mein richtiger Freund. Ich habe einen Freund verloren.“