Was nun, Wiesenburg? Große Teile des 1896 erbauten Obdachlosenheims an der Panke in der Wiesenstraße 55 in 13357 Berlin Gesundbrunnen (ehemals ein Ortsteil von Wedding, heute ein Ortsteil vom Bezirk Mitte) sind verfallen und einsturzgefährdet. Berlins größtes Wohnungsunternehmen, die degewo aus der Potsdamer Straße 60 in Berlin Tiergarten, ist seit 1. November 2014 neuer Eigentümer (Alteigentümer war das Land Berlin) und entwickelt nun mit Hilfe eines integrierten Werkstattverfahrens und Beteiligungskonzeptes zukunftsfähige Nutzungsideen für das Areal.
Mit am Tisch: der Verein Wiesenburg e.V., der auch die vielen Künstler vertritt, die sich hier gern entfalten. Auf dem Grundstück befinden sich laut degewo ein Wohnhaus mit acht Mietparteien und mehrere Gewerbeflächen. „Niemand muss seine Wohnung verlassen, auch die Ateliers bleiben“, sagte Cordula Fay, Referentin für Quartiersentwicklung bei der degewo, vor einem Jahr dem Tagesspiegel.
Der SPIEGEL beschrieb das Soziotop Wiesenburg zu diesem Zeitpunkt so: 7.000 Quadratmeter im Herzen von Berlin-Wedding: ein verträumter Ort, den Menschen frei überlassen, eine bewohnbare Ruine, ein Geheimtipp. Bröckelnde Wände, wilder Wein fällt über leere Fensteröffnungen, eine Birke wurzelt in Treppenstufen, geheimnisvolle Türen.
Weil in manchen Räumen das Dach fehlt, scheint die Frühlingssonne durch knospende Bäumchen auf den Mauerkronen. Ein schwedischer Maler aus Stockholm hat hier sein Atelier, Tänzerinnen üben für ihre Auftritte, ein Künstler baut seine Holzskulpturen. Es gibt ein Musikstudio, einen Konzertraum und einen riesigen wilden Garten. Die Hauptstadt hat nur noch wenige Orte, die auf diese Art verzaubern.
Ihre Historie beginnt 1868 als wegweisendes Obdachlosenasyl und endete 1945 als zerbombte Kriegsruine und heutige Künstlerkulisse für Fotosessions und Events. Damals herrschte in Berlin Wohnungsnot und Armut. Unterkünfte für die Gestrandeten der Industrialisierung, Obdachlosenasyle gab es nicht. Deshalb gründeten wohlhabende Bürger den Berliner Asyl-Verein. Der Plan war der Neubau eines Wohnheims für Arme.
Prominenteste Gründungsmitglieder: der Mediziner Rudolf Virchow, der Fabrikant August Borsig sowie der jüdische Damenmantelfabrikant und Sozialist Paul Singer, Mitbegründer der SPD. Der Verein eröffnete zunächst im Berliner Scheunenviertel, dort, wo heute die Volksbühne steht, ein erstes Asyl. Im Vorstand saßen viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit Nachnamen wie Hirschfeld, Aron oder Cohn.
Der Asyl-Neubau an der Weddinger Wiesenstraße wurde ab 1870 als „Wiesenburg“ in ganz Berlin bekannt. Es lag im Herzen des „Roten Wedding“ und war das größte und fortschrittlichste Asyl in ganz Deutschland. Es gab weder Verpflichtung zur Arbeit noch zur Teilnahme an Gebeten. Anders als in der Berliner Schrippenkirche wurde ein Betsaal bewusst ausgespart. Niemand musste sich ausweisen, bis 1910 hatte die Polizei kein Zutrittsrecht. Für Asylanten galt das Prinzip Anonymität.
Die „Wiesenburg“ war nicht nur bei Obdachlosen beliebt, sondern auch bei Wanderarbeitern, Erntehelfern und Dienstmädchen. Rudolf Virchow setzte Hygiene als Gesundheitsvorsorge durch, noch heute stehen die Schornsteine, die einst das Badewasser für bis zu 1.100 Bewohner erhitzten. Die Speisen stammten oft aus Spenden.
Das Gelände war wegweisend in der Betreuung von Obdachlosen. Bis 1914 bot man hier den Menschen kostenlose Unterkunft und täglich eine warme Mahlzeit. Neu war, dass die Asylsuchenden in der „Wiesenburg“ nicht als öffentliches Ärgernis begriffen wurden, dem man durch Härte und Ausgrenzung abhelfen wollte. Hier galten die Ärmsten der Stadt als Menschen, die vor allem eines brauchten: Hilfe. Alljährlich übernachteten mehr als 300.000 Personen auf dem Gelände. Jeder durfte baden, duschen oder Kleider waschen. Es gab auch eine Bibliothek.
Bis 1933 diente es der jüdischen Gemeinde als Heim. Dann schlossen die Nazis das Asyl. Von nun an wurden hier rote Fahnen mit schwarzen Hakenkreuzen im weißen Kreis gedruckt. Die Reste der Färbebehälter kann man noch besichtigen.
Diese Atmosphäre nutzten in den Siebzigerjahren die Regisseure Volker Schlöndorff und Rainer Werner Fassbinder. Schlöndorff drehte hier Szenen der „Blechtrommel“, Fassbinder Teile seines Films „Lili Marleen“. 1978 wurde hier auch für Hans Falladas Buchverfilmung von „Ein Mann will nach oben“ gedreht. Die Wiesenburg war auch Kulisse etlicher Fernseh-Tatorte.
Am 2. April vorigen Jahres ließ die degewo Teile des Gebäudes aus Sicherheitsgründen sperren. Nun will das Unternehmen das Gelände zu einem Wohn-, Gewerbe- und Künstlerquartier umgestalten.
Die degewo-Sprecherin Isabella Canasius teilte heute Berlin Journal dazu mit:
degewo hat zur Entwicklung tragfähiger Nutzungskonzepte für das Gelände des früheren Obdachlosenasyls ein dreistufiges Werkstattverfahren ausgelobt. Die vier Architekturbüros ps wedding, Die Zusammenarbeiter, Die Baupiloten und Klinkenberg Architekten sollen für das geschichtsträchtige Gelände angemessene Nutzungsideen auf rund 12.500 m² Fläche entwickeln. Das erste Kolloquium mit allen Beteiligten tagt am Donnerstag.
„Wir wollen die Wiesenburg zu einem lebendigen Quartier entwickeln, dass sich nach außen öffnet und in dem Wohnen, Gewerbe, kulturelle und soziale Nutzungen integriert sind. Wichtig ist uns dabei, dass die ansässigen Bewohner, Künstler und Gewerbetreibenden sich in dem Verfahren einbringen können, sagt Cordula Fay, Abteilungsleiterin Quartiersmanagement bei degewo.
degewo befasst sich seit vielen Jahren mit partizipativer Quartiersentwicklung in ihren Beständen. Das Werkstattverfahren ist daher offen und transparent gestaltet. Neben dem Verein „Die Wiesenburg e.V.“ der die Interessen der heutigen Nutzer vertritt, nehmen Bezirksvertreter aus Denkmalpflege, Stadtplanung und Quartiersmanagement Pankstraße als beratende Jurymitglieder am morgigen Kolloquium teil. Auch BVV-Abgeordnete aus dem Bezirk Mitte wurden von degewo eingeladen und haben ihre Teilnahme zugesagt.
Bis Ende April 2016 werden in dem dreistufigen Werkstattverfahren sowohl städtebauliche und architektonische Aspekte als auch Fragen der Beteiligung und späteren Nutzung durch unterschiedliche Akteure beleuchtet. Auch die Sanierung der alten Bausubstanz und der Bau neuer Wohnungen, die im Einklang mit der Denkmalpflege auf dem Gelände entstehen könnten, gehören zu den Themen der Werkstatt. Ziel ist die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes für das innerstädtische Areal.
Bei der degewo als Besitzer, bin ich zuversichtlich, das es gut wird.
… in Gesundbrunnen (Wedding) na was den nun? 😉
@Berlin Journal braucht ihr Nachhilfe bei den Ortsteilen?
Liebe Frau Georgiev, Gesundbrunnen ist ein Ortsteil vom alten Stadtbezirk Wedding, der heute im Stadtbezirk Mitte aufgegangen ist. Beste Grüße Bodo Hering
Warum sprecht ihr mich an? Ich weiß das.
Berlin Journal ist gerade mit dem Ortsteilen etwas überfordert…. 😉
Im Jahr 2000 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Wedding, dass es im neuen Bezirk Mitte einen Ortsteil Gesundbrunnen geben wird. Dieser Ortsteil ist größer als der historische Gesundbrunnen und schließt auch Teile der früheren Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt ein. Das Gebiet liegt innerhalb der Grenzen des ehemaligen Bezirks Wedding zu Reinickendorf, Pankow, Prenzlauer Berg und Mitte sowie östlich der Reinickendorfer Straße, des Weddingplatzes und der Chausseestraße. Bei der Bezirksfusion 2001 wurde Wedding in die Ortsteile Gesundbrunnen und Wedding unterteilt, es gehört seitdem zum Bezirk Mitte (Quelle: https://berlin.kauperts.de/Bezirke/Mitte/Ortsteile/Gesundbrunnen)
sehr gut… @Berlin Journal
dann ist ja geklärt das sich die Wiesenburg im Bezirk Mitte oder im Ortsteil Gesundbrunnen befindet… und der Wedding im Artikel nichts zu suchen hat!
Eine gute Idee in Berlin.
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