Fehlwerbung: Zuckrig, fettig, salzig wird auch mit Vitaminen nicht gesund

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"Für das Immunsystem" wirbt Danone aus Bayern für Actimel, aber im Trinkjoghurt-Fläschchen (0,1 Liter) sind 10,5 Gramm Zucker versteckt - fast vier Stück Würfelzucker. Die Tagesbedarfsobergrenze liegt bei 17 Würfelzucker (Screenshot: Frontal21/ZDF)
„Für das Immunsystem“ wirbt Danone aus Bayern für Actimel, aber im Trinkjoghurt-Fläschchen (0,1 Liter) sind 10,5 Gramm Zucker versteckt – fast vier Stück Würfelzucker. Die Tagesbedarfsobergrenze liegt bei 17 Würfelzucker (Screenshot: Frontal21/ZDF)

Vor 10 Jahren hat die EU mit einer Healt Claim Verordnung beschlossen, dass die Lebensmittel-Industrie Zuckriges, Fettiges und Salziges zum Beispiel durch Zugaben von Vitaminen oder Mineralstoffen nur dann als gesundheitsförderlich bewerben darf, wenn bei dem Produkt gleichzeitig mit einem deutlich sichtbaren Nährwertprofil eine Obergrenze an Zucker, Fett und Salz ausgewiesen und eingehalten wird.

Bis heute lässt die Industrie das Nährwertprofil weg. Begründung: Im Kleingedruckten stehe doch, wie viel Zucker, Fett und Salz drin sind.

Doch die Verbraucherschützer monieren, dass der Verbraucher die Fachbegriffe auf den Verpackungen zu 90 Prozent gar nicht verstehen würden. Und ein Käufer beim Einkaufen in der Regel nicht anfange, das Kleingedruckte in der aufgedruckten Nährwerttabelle zu lesen, sondern im Alltag im Bruchteil von Sekunden entscheidet, was in den Einkaufswagen kommt und was nicht.

Heiligenscheineffekt

Und steht groß das Wort Vitamine oder Fitness auf der Verpackung oder werden schlanke, gesunde Menschen abgebildet, dann, so die Schlussfolgerung der Kunden, muss das Produkt ja gesund sein. Konsumforscher sprechen hier von einem Heiligenscheineffekt für die Produkte, indem das Gute, nämlich das Vitamin, auf das gesamte Produkt übertragen wird. Dr. Anke Zühlsdorf, Lehrbeauftragte für das Modul „Corporate Social Responsibility in Agrobusiness“ an der Georg-August Universität Göttingen, sagte Frontal21: „Im Supermarkt hat der Kunde wenig Zeit. Man weiß aus Blickregistrurmessungen: Unter einer Sekunde wird ein Urteil gefällt. Der Kunde sucht nach Schlüsselinformationen. Visuelle Informationen oder blickfangmäßig herausgehobene Informationen werden besonders schnell wahrgenommen.“

Zum Beispiel: „Für das Immunsystem“ steht auf dem Trinkjoghurt Actimel der Danone GmbH aus Haar in Bayern. Oder „Angereichert mit 7 Vitaminen“ auf der Verpackung von Capri Sonne Multivitamin der Deutschen SiSi-Werke Betriebs GmbH aus Eppelheim in Baden-Württemberg.

Ein Nährwertprofil würde diesen schönen Schein im Nu zerstören.

Denn dann würde der Verbraucher auf einen Blick erkennen, dass in einem 100-Gramm-Trinkjoghurtfläschchen von Actimel 10,5 Gramm Zucker versteckt sind, das entspricht dreieinhalb Stücke Würfelzucker zu je 3 Gramm.  Bei Capri Sonne (0,2 Liter) sind es fast 5 Stück Würfelzucker. Ernährungswissenschaftlerin Bettina Halbach auf die Frage, was der Tagesbedarf an Zucker für einen Erwachsenen ist: „Es gibt eine Obergrenze. Die heißt 50 Gramm.“ Eine Empfehung der Weltgesundheitsorganisation WHO mit Sitz in Genf in der Schweiz.

Also nicht mehr als 17 Stück Würfelzucker am Tag.

Oder ein anderes Beispiel: Ovomaltine Kakaopulver, das von der Wander AG (einem Tochterunternehmen der Associated British Foods) in Neuenegg (Kanton Bern) in der Schweiz hergestellt wird.  Auf der Verpackung steht: „Für körperliche und geistige Leistungsfähigkeit“. Enthält aber mehr als 50 Gramm Zucker pro 100 Gramm Ovomaltine Kakao.

Auf Druck der Lebensmittelindustrie soll die EU die 2006 beschlossenen Nährwertprofile mit Obergrenzen für Zucker, Fett und Salz wieder aus der Health Claim Verordnung rausnehmen (Screenshot Frontal21/ZDF)
Auf Druck der Lebensmittelindustrie soll die EU die 2006 beschlossenen Nährwertprofile mit Obergrenzen für Zucker, Fett und Salz wieder aus der Health Claim Verordnung rausnehmen (Screenshot Frontal21/ZDF)

Oder Fitness Müsli Weisse Schokolade von der Nestle Deutschland AG aus Frankfurt am Main. Wirbt mit Vollkorn, Vitaminen und Mineralstoffen. Hat aber 19,6 Gramm Zucker pro 100 Gramm.

Werbung mit gesunder Ernährung – eine lohnende Masche?

Sophie Herr von der Verbraucherzentrale Bundesverband aus Berlin: „Für Unternehmen ist wichtig, Lebensmittel zu verkaufen. Und wenn ich ein Lebensmittel verkaufe, das ernährungsphysiologisch nicht besonders gut ist, dann versuche ich trotzdem ihm einen Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Produkten zuzuschreiben. Und das ist in diesem Fall Gesundheit.“

Um diesen Konflikt zu lösen, sollte die Health Claims Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europaparlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 (veröffentlicht im Amtsblatt der EU L 404 vom 30. Dezember 2006) regeln: Erstens, welche nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben sind erlaubt. Zweitens, welche Produkte dürfen damit werben.

Bis heute keine Obergrenzen für Fett, Zucker und Salz

Doch diesen zweiten Teil der Verordnung hat die Politik bis heute nicht umgesetzt. Sogenannte Nährwertprofile sollten genau vorgeben, wie viel Fett, Zucker oder Salz ein Produkt maximal haben kann, damit ein Unternehmen damit werben darf.

Sophie Herr: „Nährwertprofile sind ein essentieller Baustein der Health Claim Verordnung und sind die absolute Voraussetzung dafür, dass sie gesundheitlichen Verbraucherschutz überhaupt erst möglich macht. Ohne Nährwertprofile, ohne Obergrenze von Zucker, Fett und Salz, können alle Lebensmittel, auch solche, die sehr zuckrig, sehr fettig und sehr salzig sind, mit Gesundheitsversprechen werben und sich damit das gesunde Deckmäntelchen anziehen.“

Laut der Health Claim Verordnung hätte das bis 2009 geschehen sollen. Aber die Lebensmittelindustrie hat sich immer wieder gegen die Einführung der Nährwertprofile gesträubt. In einem Interview mit Frontal 21 sagte der damalige EU-Kommissionssprecher schon 2012: „Es gab Diskussionen. Sehr häufig waren die Mitgliedsstaaten offen gesagt, ich nenne hier keine Namen, die Vertreter nationaler Wirtschaftsinteressen. Sie waren die Stimme einzelner Unternehmen in Brüssel.“

Vier Jahre später nun im Jahre 2016 hat sich die Lebensmittelindustrie offenbar durchgesetzt. Denn jetzt will das EU-Parlament die Nährwertprofile ganz abschaffen. Die deutsche CDU-Abgeordnete und Agrarwissenschaftlerin Dr. Renate Sommer (57) aus Herne in Nordrhein-Westfalen hat das vorangetrieben. Sie hält Nährwertprofile für „obsolet“ und „schlichtweg überflüssig“. Sie teilt damit die Forderung der Süßwarenindustrie. Deren Bundesverbandes BDSI e.V. aus Bonn forderte schon Ende 2014: „Nährwertprofile sind nicht mehr erforderlich und sollten nicht weiter verfolgt werden.“

Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg: „Auf Druck der Industrie sollen die ganz abgeschafft werden. Das würde dann wirklich die Health Claims Verordnung auf den Kopf stellen. Weil dann Verbraucher auch wirklich getäuscht werden mit falschen Gesundheitsversprechen auf ungesunden Lebensmitteln.“

Seine Ablehnung gegen die Nährwertprofile begründet der Spitzenverand der Lebensmittelindustrie, der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. aus Berlin Mitte:“Dabei standen aber (…) Zweifel an der wissenschaftlichen Grundlage (…) im Vordergrund und nicht wirtschaftliche Überlegungen.“

Nicht wirtschaftliche Überlegungen? Anders sieht das die EU-Kommission in Brüssel. Die macht klar: Wirtschaftliche Gründe waren entscheidend. „Die Einführung von Nährwertprofilen wurde verschoben, weil „bestimmte Bereich der Lebensmittelindustrie wirtschaftliche Verluste und verminderte Werttbewerbsfähigkeit befürchteten.“

Armit Valet: „Wir brauchen hier ambitionierte Nährwertprofile, um die Verbraucher zu schützen, nämlich davor, dass besonders ungesunde Lebensmittel als gesund beworben werden dürfen. Denn dann geht es in die falsche Richtung. Wir haben das große Problem des Übergewichtes, der Diabetes 2. Und das würde dem Ganzen noch Vorschub leisten.“

Eine gesundheitsgefährliche Entwicklung

6 Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Diabetes 2. Jede zweite Frau und sogar zwei von drei Männern gelten als übergewichtig. Das Massenphänomen Übergewicht verursacht Krankheiten und enorme volkswirtschaftliche Kosten. Daran wird sich laut Frontal 21 nichts ändern, wenn die Interessen der Industrie wichtiger sind als Verbraucherschutz.

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